Transkript Ambulante Versorgung
(Birgit Schröder) Herzlich willkommen zu einer neuen Folge. Herzlich willkommen, auch einem neuen Gesprächspartner, den ich bitten würde, sich gleich einmal selbst vorzustellen.
(Marc Hanefeld) Ja, schönen guten Abend allerseits. Mein Name ist Marc Hanefeld. Ich bin Hausarzt im ländlichen Bereich zwischen Hamburg und Bremen, im Bereich Bremervörde, Landarztpraxis ganz klassisch, mach Chirotherapie auch und Flugmedizin, vorher im Krankenhaus Arzt gewesen, Anästhesist, Intensivmediziner, Qualitätsmanagement und Digitalisierungsfan, Digital Health, so was in dieser Richtung.
(Birgit Schröder) Herzlichen Dank. Das ist schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Für alle, die das jetzt hören, es ist schon das, was für viele Leute, glaube ich, Feierabend ist, schon sehr, sehr spät. Aber, toll, dass Sie sich die Zeit nehmen. Wir wollen heute ein bisschen über die Herausforderungen der ambulanten Versorgung sprechen. Da freuen wir uns immer sehr, wenn wir auch Leute aus der Praxis finden, die uns da so ein bisschen Einblick geben können.
Die ambulante Versorgung ist viel in der Presse. Jeder hat, glaube ich, auch so seine ganz eigenen Erfahrungen damit gemacht, vielleicht als betroffener Patient, vielleicht aber auch im beruflichen Kontext. Und vielleicht können wir mal damit beginnen, dass wir so ein bisschen die Probleme benennen, die Sie so als Leistungserbringer, als Arzt im Moment in der ambulanten Versorgung besonders wahrnehmen.
(Marc Hanefeld) Ich denke, wer als, Patient in dem System ist, der kennt diese Dinge schon: lange Wartezeiten oder überhaupt die Schwierigkeit, Termine zu bekommen unter Umständen. Aus unserer Sicht in Praxen, würde ich sagen, ist es eine sehr, sehr hohe Arbeitslast, unter der wir leiden. Das ist sicherlich ein ganz großes Problem, auch eine sehr hohe Inanspruchnahme durch die Patientinnen und Patienten und relativ viel Bürokratie, mit der wir zu tun haben, auch teilweise unnötige Bürokratie, die, uns bremst, aber nicht wirklich einen erkennbaren Nutzen hat.
Und zusammen mit der Problematik, dass wir jetzt beispielsweise bei den Hausärzten etwa ein Drittel über Sechzigjährige haben, das heißt also auch noch einen weiteren Verlust an Kapazität in der Behandlung, haben wir es neben diesen Problemen mit Bürokratie und dadurch bedingter Reduktion der Attraktivität zu tun und mit einer relativ schlechten Vergütung. Das hängt noch ein bisschen davon ab, ob man jetzt in Bayern, Baden-Württemberg, in Hamburg oder in Niedersachsen ist. Das ist alles ein bisschen unterschiedlich.
Aber zumindest ist es so, dass es nicht attraktiv zu sein scheint für jüngere Kolleginnen und Kollegen. Und wir haben halt einfach auch mit Budgetierung zu tun, mit Verknappung von Leistungen und damit über Probleme mit der Weiterversorgung von Patientinnen und Patienten und auch dadurch bedingt mit der Zusammenarbeit im System. So würde ich es erst mal skizzieren.
(Birgit Schröder) Sie haben ja Termine angesprochen. Ich war auf Ihrer Homepage heute und habe mich tatsächlich mal durchgeklickt, und hab mal geguckt, wann ich bei Ihnen denn einen Termin bekäme, wenn ich denn einen bräuchte und habe festgestellt, dass es gar keinen Unterschied macht, ob ich privat oder gesetzlich versichert ausgewählt habe.
(Marc Hanefeld) Das ist richtig. Das ist vor allen Dingen in der Haushaltsmedizin so. Bei Gebietsfachärzten ist es teilweise anders. Die machen Unterschiede. Ich kenne es selbst noch, dass mein alter HNO-Arzt ein eigenes Zimmer für Privatpatienten hatte mit Ledersesseln und so weiter. So was ist in der Haushaltsmedizin nicht so. Im Moment ist es sogar so, dass die Privatpatienten eher weniger attraktiv sind als die Kassenpatienten, außer dass die Budgetierung nicht greift. Und ich mache da auch keinen Unterschied, weil ich letztendlich auch eine ganz andere Rolle habe als jetzt ein Gebietsspezialist. Ich bin da eher jemand, der die Medizin zum Menschen bringt oder Medizin und Mensch zusammenbringt und da macht das für mich keinen Unterschied, wäre auch meiner Arbeitsweise nicht entsprechend.
(Birgit Schröder) Und wenn Sie jetzt sagen, Patienten warten lange auf einen Termin, Sie sehen, dass immer mehr Kolleginnen und Kollegen auch in Rente gehen und da kommt ja noch was auf uns zu, wenn es dann sozusagen auch um die Anzahl der verfügbaren Praxen geht. Für jüngere Kollegen ist die Hausarzttätigkeit im ländlichen Raum offensichtlich weniger attraktiv. Wenn man sich jetzt so ganz konkrete Beispiele für Versorgungsengpässe mal anguckt, wo sehen Sie die?
(Marc Hanefeld) Also wir haben ganz klassische Fachrichtungen. Ich glaube, das ist fast schon wirklich übergreifend in Deutschland so und das können sicherlich alle bestätigen, die diese Fachrichtungen benötigen. Nehmen wir mal die Rheumatologie, da gibt es hier im Elbe-Weser-Raum zwei Praxen, glaube ich, noch. Dermatologen sind schwierig zu kriegen und dann auch ganz klassisch und, auch vermehrte Inanspruchnahme oder von der vermehrten Inanspruchnahme betroffen, die Psychologen, die Psychiater und dann natürlich auch immer örtlich unterschiedliche Probleme.
Und es gibt Gebiete, da gibt es keine Pneumologen. Das ist sicherlich auch so, also Lungenfachärzte, hier bei uns der Fall. Oder es gibt welche, aber nur eine oder zwei Praxen. Und es gibt Gebiete, da fehlen vielleicht Kardiologen oder Orthopäden. Das ist dann immer gebietlich ein bisschen unterschiedlich. Was dazu kommt sind grad in Deutschland nicht lieferbare Medikamente, immer wieder, und teilweise einfach zu beheben, aber mit Aufwand in den Praxen verbunden, weil man sich darum kümmern muss, anders zu verordnen beispielsweise, aber auch manchmal überhaupt nicht ersetzbar. Da muss man auf eine ganz andere Wirkstoffqualität umsteigen oder sonst etwas.
Und was wir auch beobachten, ist, dass wir auch große Probleme haben mit Klinikaufnahmen. Die Kliniken sind ebenfalls überlastet und es ist teilweise schwierig, auch relativ schwerkranke Patienten überhaupt im Krankenhaus unterzubringen. Das verursacht dann Probleme, das zu organisieren, also zeitliche Probleme. Und wir haben es damit zu tun und sind damit konfrontiert, dass wir formal eigentlich stationäre Fallschweren auch ambulant weiter versorgen müssen, weil die Krankenhäuser dann auch relativ frühzeitig entlassen.
(Birgit Schröder) Und war das schon immer so? Oder wenn Sie jetzt auf Ihre berufliche Tätigkeit zurückblicken, sehen Sie schon, dass sich das massiv verschlechtert hat in den letzten Jahren?
(Marc Hanefeld) Also das würde ich ein bisschen auftrennen. Also erstens Mal hat sich ja im Krankenhauswesen was verändert und zwar mit dem Zeitpunkt, wo ich in die berufliche Laufbahn eingestiegen bin. Das war ungefähr der Wechsel 2004, 2005, wo die DRGs, Diagnosed Related Groups, eingeführt worden sind im Krankenhaus. Da ist natürlich erst mal ein bisschen Zeit ins Land gegangen, bis sich da, das durchgesetzt hatte und bis das seine Folgen dann offenbar gemacht hat.
Aber letztlich hat das dazu geführt, dass viele, viele Dinge, die im Krankenhaus vorher selbstverständlich waren, lange Aufenthalte und etwas mehr Zeit, dass das eingeschmolzen worden ist. Und dann auch mit einem Vorbild durch die privaten Krankenhausträger, wo man ja auch ansprechen muss, dass die deswegen Erfolg gehabt haben, weil die Länder ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden sind, die Krankenhäuser in ihrem Strukturerhalt oder in der Strukturverbesserung zu finanzieren.
Und persönlich für mich ist es natürlich auch so, dass ich erst im Krankenhaus begonnen habe, ich sag jetzt mal als Technokrat, als Anästhesist, sehr, sehr spezialisiert, mehr im Hintergrund für akute Problemlösungen da. Und heutzutage bin ich eher jemand dann für die lange Bank. Für das persönliche Verhältnis zu den Patientinnen und Patienten und nicht mehr für die akuten Notfälle oder, ich sag es mal, ständige Katastrophen. Und was wir eben auch derzeit erlebt haben, ist mehr Digitalisierung.
Leider dadurch auch mehr Bürokratie zum Teil, durch schlechtere Versorgung. Und, um was Positives anzusprechen, es hat sich in den letzten zwanzig Jahren die Patientensouveränität verbessert. Also es gibt nicht mehr diese vertikale Bezugsrichtung, dass man als Ärztin oder Arzt sagt, was Sache ist, und die Patienten befolgen das, sondern die Patienten sind sehr viel autonomer geworden und mündiger in dem, was sie wollen. Das konfrontiert uns manchmal natürlich auch mit Erwartungen.
Doktor Google ist bekannt, wenn man den fragt, das ist entweder Krebs oder eine defekte Zylinderkopfdichtung, sag ich mal. Und es ist auch der Wunsch nach einer schnellen Verfügbarkeit der Ärztinnen und Ärzte gestiegen. Insofern hat sich da insgesamt ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen aus meiner Sicht.
(Birgit Schröder) Und wir haben ja auch tatsächlich das Problem, dass wir nicht nur, Sie haben es schon angesprochen, zu wenig Ärzte haben, sondern wir haben ja insgesamt einen Fachkräftemangel. Das betrifft ja auch diverse Assistenzberufe, beispielsweise haben wir gerade kürzlich mal einen Podcast aufgenommen, da ging es um die Physiotherapeuten, die ja auch große Nachwuchssorgen haben. Das ist ja eigentlich was, was keinen so richtig überrascht hat, der sich ein bisschen im System auskennt. Also, ich meine, ich mach jetzt Medizinrecht zwanzig Jahre und würde sagen, jeder, mit dem ich so zu tun hab, dem war das völlig klar, dass das so kommt.
Gerade auch so der gesamte Bereich der medizinischen Fachangestellten, aber auch in der Pflege, das hat sich ja schon abgezeichnet. Hat man das so ein bisschen auf die leichte Schulter genommen bei den Entscheidungsträgern? Oder hat man es einfach nicht kommen sehen? Oder hatte man keine Idee, wie man damit umgeht? Was ist da Ihre Idee zu?
(Marc Hanefeld) Ja, ich glaub, da kommt mir eher das Bild von Vogel Strauß in den Sinn. Also, es war ja so, als ich ins Medizinstudium eingetreten bin, das war 1998, da hieß es: „Macht bloß nicht Medizin, ihr kriegt später keine Jobs." Es gab eine Ärzteschwemme. Und wir haben aber auch schon die Zahlen gesehen zur Bevölkerungsentwicklung, die ja letztendlich auch automatisch zwangsläufig sich auf berufliche Strukturen auswirkt. Und ich erinnere mich, dass ich damit erstmals konfrontiert worden bin im Politikunterricht in der Unter- oder Mittelstufe, sprich in den 90er Jahren.
Das heißt, seitdem wissen wir das sicher und da wurde das auch diskutiert. Und man hat aber nicht festgestellt, dass dem irgendwie begegnet worden ist durch Maßnahmen, sondern ich glaube, das ist so ein bisschen eine Zurückhaltung vor Steuerungsmaßnahmen überhaupt, die wir in Deutschland zu beklagen haben. Vielleicht auch im Gegensatz zu den skandinavischen Ländern, wenn man die als Beispiel nimmt. Und es haben ja alle davor gewarnt, dass wir einen Fachkräftemangel bekommen würden. Und ich spreche jetzt einfach mal von der Medizin, wo die Ärztekammern und auch die KVn schon über Jahre darüber gesprochen haben.
Und solche Dinge, wie eine bessere Finanzierung der Weiterbildung Allgemeinmedizin oder auch andere Dinge, die das attraktiver gestaltet haben oder die dazu führen, dass Strukturen vergrößert werden, die sind ja erst vor kurzem eingeführt worden. Und ich glaub, ganz allgemein, bilden wir viel zu wenig aus für den Bedarf oder haben einfach keinen Plan in Deutschland. Das muss man leider so konstatieren und wir sehen jetzt die Folgen davon und werden das auch noch in verschärfter Form in Zukunft sehen.
(Birgit Schröder) Also ein bisschen Desaster mit Ansage.
(Marc Hanefeld) Ja, auf jeden Fall definitiv. Also aus meiner Sicht hat sich das mindestens seit zehn, fünfzehn Jahren angekündigt, abgesehen von den prospektiven Beobachtungen aus den 90er Jahren, die ich grad aus der Schule angesprochen habe. Was wir halt sehen, dass es zunehmend wenige Niederlassungen gibt und es ist ja so, dass die ambulante Medizin, die weitaus meisten Fälle betreut im Gesundheitswesen. Ich glaube, wenn ich das richtig weiß, machen die stationären Fälle 17 Millionen aus im Jahr und die ambulanten Fälle 720 Millionen.
Und aus meiner Sicht hat man diese ambulante Medizin systematisch unattraktiv gemacht. Muss man vielleicht auch auf der anderen Seite der Medaille sehen, dass dort auch in den, sagen wir mal, 70er/80er Jahre insbesondere sehr stark abgeschöpft worden ist. Und ich glaube, bei der Gegenreaktion hat man es letztendlich übertrieben und wir haben ja heute noch einen ehemaligen Gesundheitsminister, der davon spricht, wie viel Hunderttausende wir netto verdienen nach Abzug aller Kosten als Ärzte, was lange nicht mehr stimmt und nicht mehr der Realität entspricht, wenn man es mit anderen Berufsgruppen vergleicht, die vergleichbar wären.
Und letztendlich haben wir da, wir haben hohen Druck, wir haben geringe Honorare, wir haben relativ viel Bürokratie, was ich grad schon mal gesagt hab. Und dadurch kaum noch Leute, die wirklich das machen wollen, zusammen auch mit einer Generation, die auch andere Lebensschwerpunkte setzt, auch zu Recht find ich, also mehr aufs Privatleben und auf die Familie Wert legt. Und die Folge sehen dann die Patientinnen und Patienten mit wachsenden Wartezeiten, mit Aufnahmestopps in Praxen und mit teilweise langen Anfahrtswegen, wenn man jetzt nur mal die Rheumatologie Praxen sieht.
Da haben Sie Glück. Sie sitzen in Hamburg, da fahren meine Patienten hin vom Land zu den Rheumapraxen.
(Birgit Schröder) Ja, also hier in Hamburg muss man sagen, ist das sicherlich alles sehr viel besser. Also Hamburger Patienten stöhnen, glaube ich, auf einem sehr hohen Niveau. Gleichwohl sehen wir selbst in Hamburg in so einem Ballungszentrum, dass ich Praxen total problemlos verkauft kriege zu wirklich sehr, sehr interessanten Kaufpreisen, solange sie im Speckgürtel liegen, also im inneren Bereich, fast unabhängig von der Fachrichtung. Aber versuchen Sie mal eine Kinderarztpraxis in Billstedt loszuwerden, die können sie verschenken, die will keiner haben.
Also selbst in Ballungszentren, wo man ja denkt, das ist sehr, sehr attraktiv, guckt man als Käufer ganz stark darauf, wie kann ich IGeL-Leistungen verkaufen, also individuelle Gesundheitsleistungen? Wie viel Privatpatienten habe ich? Wie ist die Sozialstruktur? Das ist schon auch in den Verkaufsverhandlungen zentraler Punkt. Aber Sie haben natürlich recht, insgesamt hat Hamburg natürlich eine wahnsinnige Arztdichte. Man sagt, ungefähr ein Drittel der Hamburger Patienten sind Umlandpatienten, die also gar nicht selbst in Hamburg wohnen, sondern die nach Hamburg kommen, um sich versorgen zu lassen.
Aber wenn man jetzt mal die Ballungszentren verlässt, in die Ländlichkeit geht, da kennen wir das alle. Wie viele Praxen werden verschenkt und selbst dann will sie niemand haben. Also eine ganz gefährliche Entwicklung einfach.
(Marc Hanefeld) Definitiv, hier in Bremervörde haben wir bis vor Kurzem siebeneinhalb, jetzt sechseinhalb Sitze frei. Und das ist bei, wenn man jetzt sagt, ein Sitz macht 1.500 Patienten, das ist mehr als der Durchschnitt, aber für das Land normal, dann sind das mal eben 10.000 Patienten oder mehr. Und das bei einer Bevölkerung, die, wenn man den Bereich ins Umland umfasst, so etwa 35.000 beträgt. Das heißt also, fast ein Drittel der Patienten hat eigentlich gar keinen Hausarzt.
Ich spreche jetzt nur von der Hausarztmedizin, weil ich die natürlich auch am besten überblicke.
(Birgit Schröder) Es ist ja bald Weihnachten. Ab 1.9. sind die Lebkuchen in den Regalen, wenn Sie sich jetzt was wünschen dürfen von der Gesundheitspolitik, was wäre denn das?
(Marc Hanefeld) Also das sind ja diverse Sachen. Erstens mal aus Sicht der Hausärzte und Hausärztinnen, wo ich auch im Hausärzteverband aktiv bin, ist eine faire Honorierung für die Arbeit von uns und übrigens auch von unseren Teams. Das ist ganz wichtig, denn wir Hausarztpraxen existieren überhaupt gar nicht ohne unser Fachpersonal in den Praxen, was im Moment überhaupt nicht adäquat vergütet ist, obwohl es zuletzt Steigerungen gab. Und dann brauchen wir auf jeden Fall eine bessere und abgespeckte Bürokratie.
Ich kann ungefähr sagen, dass wir/dass ich auf jeden Fall ein Viertel, vielleicht ein Drittel meiner Arbeitszeit mit Bürokratie verbringe. Und wenn ich meine Praxisversorgung optimiere oder maximiere, dann mach ich das letztendlich in der Freizeit. Für Beträge, die definitiv nicht das wiedergeben, was ich dort tue. Und was wir auch auf jeden Fall dafür brauchen, ist eine verbindliche Strategie für Nachwuchs und auch Anreize für den Nachwuchs, Ausstattungskonzepte, Konzepte, wie man Dinge und verschiedene Ziele, Lebensziele übereinbringen kann mit der Praxis.
Und was wir auch brauchen, ist eine besser gesteuerte Digitalisierung. Da ich da drin bin, bin ich relativ optimistisch, aber im Moment ist es noch so, dass Digitalisierung häufig mehr belastet als entlastet. Und jede Digitalisierung, die nicht die Patientenversorgung vereinfachen/ verbessert, sollte man einfach nicht machen. Und dazu müssen auch die Softwarehersteller, die Gematik, das Bundesgesundheitsministerium aufhören, Praxen als Betatester für unvollendete Software zu benutzen, was leider immer wieder auftritt.
Das ist etwas, was viele frustriert und was auch zu einem verfrühten Praxissterben beigetragen hat, weil einige, die hätten weitermachen wollen, sich dadurch haben entmutigen lassen. Und diese Dinge, wenn die sich ändern ließen und auch gute Konzepte dabei rauskämen, dann hätte ich schon auch, zumindest eine gute Hoffnung, dass sich einiges verbessern könnte.
(Birgit Schröder) Und was müsste jetzt kurzfristig, also relativ schnell und zeitnah passieren, damit man eine bessere Versorgung hätte? Weil das sind alles Sachen, die Sie angesprochen haben, die sind ja wahrscheinlich nicht von heut auf morgen oder zumindest nicht kurzfristig umsetzbar?
(Marc Hanefeld) Ja, sehen Sie, ich bin ja auch in der Ausbildung aktiv von verschiedenen Unis, die in die Arztpraxen kommen müssen. Musste ich übrigens nicht, aber jetzt müssen die das alle machen, Hausarztmedizin, in der Hoffnung, dass welche hängenbleiben. Man sagt immer ganz leicht, wir brauchen mehr Studienplätze. Aber wenn ich so einen Abiturienten von heute sehe, wann kommt der denn in die Praxis oder wann kommt die in die Praxis? Ich würde ja sagen, vielleicht in vierzehn Jahren oder so was. Das heißt, das wäre zwar wichtig, auch für die Zukunft, nützt uns aber jetzt nichts.
Wir brauchen für die Leute, die jetzt im Medizinstudium sind, vernünftige Perspektiven, die attraktiv und nachhaltig sind, damit die sich entscheiden, in der Praxis zu arbeiten. Vielleicht auch Strukturen, die ein bisschen weggehen von der inhabergeführten Praxis, dass man ohne diese massive Verantwortung arbeiten kann. Wir brauchen vereinfachte Niederlassungen, wir brauchen vernünftige Förderungen seitens der Kostenträger im Gesundheitswesen oder auch meinetwegen seitens der Kommunen oder Städte oder wo auch immer die Leute sich ansiedeln sollen.
Und, noch mal, auch ganz dringend eine erhebliche Entlastung von der Bürokratie. Und was wir auch machen müssen, ist möglichst schnell Delegation und Substitution fördern. Delegation, also meinen Mitarbeiterinnen, die MFAs sind oder NEPAs, also nichtärztliche Praxisassistenten oder VERAS, diese Zusatzausbildung, dass ich an die Aufgaben delegieren kann. Und dann gibt es da den neuen, nicht wirklich neuen, aber jetzt aktuell in der Diskussion stehenden Berufszweig, der Physician Assists, die PAs, dass man das fördert und auch auf jeden Fall finanziell die Praxen dafür ausstattet, dass diese Leute vernünftig bezahlt werden können.
Und was ganz wichtig ist, ist politische Ehrlichkeit. Wenn ich mir das anschaue, was immer in den Wahlkämpfen versprochen wird, dann ist das eine sorgenfreie Flatrate-Medizin und das ist längst nicht mehr machbar. Wir müssen ressourcenschonend auch arbeiten im Gesundheitswesen. Versorgung kostet Geld, man kann nicht alles umverteilen. Da ist der Ausdruck dazu immer linke Tasche, rechte Tasche, wenn man irgendwelche angeblichen Verbesserungen an die Wand malt. Und man kann nicht den Leuten sagen, dass sie immer die vollständige hundertprozentige Versorgung bekommen, aber dann nichts dafür tun.
Das ist aber genau das, was die Politik tut und für die ist es ja auch schwer, weil so eine Aussage zu treffen, natürlich auch sehr stark auf einen zurückfällt. Für uns ist es aber so, wir können angesichts der Bevölkerungspyramide mit immer mehr Älteren und damit auch behandlungsbedürftigen Patientinnen und Patienten nur sehr schwer unsere Arbeit hochskalieren als Ärztinnen und Ärzte. Wir brauchen dafür unsere Teams, die mehr mitarbeiten, und wir müssen da einfach gucken, dass wir dem irgendwie gerecht werden können, ohne dass es zu, sagen wir mal, abwendbaren Folgen kommt von einer schlechten Versorgung, wie wir sie jetzt in England beispielsweise auch schon sehen.
(Birgit Schröder) Und was glauben Sie, wenn Sie jetzt so ganz realistisch sind, wie wird sich das perspektivisch entwickeln? Haben Sie Hoffnung, sag ich mal, dass jetzt mit einer Neubesetzung des Gesundheitsministeriums, beispielsweise, sich da wirklich irgendwas ernsthaft tut? Oder sind Sie da eher pessimistisch?
(Marc Hanefeld) Also da bin ich eher pessimistisch, dass es durch die Besetzung eines Gesundheitsministeriums besser wird. Ich glaube, da braucht es, das, was in Skandinavien abläuft, nämlich, Aushandlungsprozesse in Gesellschaften, die mehr Legislatur übergreifend sind und damit auch parteiübergreifende Dinge, die sich ändern. Und dann geht es eben dahin, dass man sagt, okay, wir müssen mehr Teammedizin machen, weniger oder weg vom Arzt-Patienten-Kontakt hin zum Praxis-Patienten-Kontakt, Sprechstunde durch unsere MFAs, durch unsere PAs, vielleicht durch Ortspflegerinnen als Filter, gerade auf dem Land.
Und trotzdem werden wir wahrscheinlich sehen, dass die Versorgung weniger flächendeckend sein wird, dass man nicht an jeder Milchkanne eine Arztpraxis hat, dass die Leute mehr fahren müssen. Und wir brauchen auch sicher, und das wird sicher auch kommen, eine intersektionale Versorgung, dass die Krankenhäuser mit reinkommen und dass man mehr zusammenarbeitet, dass die Trennung in gewisser Weise aufgehoben wird. Das ist zwar nicht immer gut, der Krankenhaus-Kardiologe oder -Orthopäde hat ganz andere Fragestellungen als jemand, der in der Praxis arbeitet.
Der Orthopäde, zum Beispiel, der operiert Hüften und Knie und der kümmert sich eher nicht darum, wie funktionelle Wirbelsäulenbeschwerden bei 75- oder 85-jährigen Patientinnen und Patienten so zu behandeln sind, dass die im Leben besser klarkommen. Da müssen wir aber auch alle besser werden dran und auch jeder, der mal im Krankenhaus war, ohne jetzt, dass der Kopf unterm Arm war oder so was, weiß ja auch, dass das nicht unbedingt Medizin ins Leben transportiert ist, was einem dann widerfährt. Und da müssen wir auf jeden Fall gucken, dass wir das verbessert bekommen und wir brauchen eine vernünftige, gute Digitalisierung, die die Patientenversorgung verbessert.
Und, da ist eins ganz wichtig, wir müssen auch wegkommen von der Reparaturmedizin. Wir brauchen viel mehr Prävention. Wenn ich sehe, wie sehr Lobbyverbände von Nahrungsmittelherstellern es geschafft haben, beispielsweise eine Lebensmittelkennzeichnung zu canceln. Das war ja in der letzten Legislatur, in der rot-grünen Legislatur, war das geplant gewesen und wurde aber einkassiert. So was brauchen wir aber. Wir brauchen auch ein Verständnis dafür, wie sehr, sagen wir mal, in allererster Linie, Verhaltensweisen wie Alkohol die Gesellschaft- und/oder die gesellschaftlichen Kosten für medizinische Versorgung treiben und zu Krankheiten und Tod beitragen.
Von Zigaretten brauchen wir gar nicht reden. Und wenn wir da hinkommen, mehr Prävention zu betreiben, eine gesunde Gesellschaft zu werden, dann brauchen wir weniger Medizin. Aber das sehe ich im Moment nicht so sehr, dass es dafür größere Mehrheiten gibt oder Strategien auch.
(Birgit Schröder) Ja, was ich so spannend finde, diese Themen Fachkräftemangel, Überwindung der Sektorengrenzen, aber auch das ganze Thema Digitalisierung, Substitution, Delegation, das sind ja alles eigentlich uralte Themen und vieles ist nie über so ein Projektstadium hinausgekommen. Ich mein, es gibt ganz viele spannende innovative Versorgungskonzepte und keines dieser Konzepte schafft es sozusagen richtig in die Breite.
(Marc Hanefeld) Das ist richtig. Ich glaub, aus meiner Sicht, da muss ich dann auch meiner eigenen Fachrichtung etwas an die Nase greifen oder wir uns selbst. Das hängt auch 'n bisschen damit zusammen, um es mal ganz deutlich zu sagen. Und ich denke, das ist jetzt der richtige Zeitpunkt, solche Dinge noch mal aufzugreifen, weil jetzt kann man auch nicht mehr anders. Aber man kann es auch nicht einfach so als Notnagel sehen, sondern man muss auch wirklich sehen, dass man wirklich gute Versorgung damit hinbekommt auf diese Art. Und das hätte man auch schon lange machen können, aber es scheiterte eben auch daran, dass man sagt, alles klar, es gibt für alles ein Arztvorbehalt und so weiter. Und ich finde, diese Gedanken, die müssen wir im Prinzip überwinden.
(Birgit Schröder) Aber vielleicht ist jetzt ja der Leidensdruck so groß, dass man einfach aufgrund dieses Leidensdrucks auch Sachen eher mal ausprobiert, die man vorher vielleicht weit von sich gestoßen hätte, oder?
(Marc Hanefeld) Ja, also diese Einschläge kommen ja auch näher. Wenn Sie die Presseberichterstattung dazu verfolgen, dann sehen Sie ja auch Gesundheitsökonomen, Politiker und so weiter, die sagen, das geht noch zwei, drei Jahre gut oder vielleicht fünf, was wir hier tun. Und dann kippt das irgendwann. Nehmen wir mal allein die Pflegebeträge, die das kostet, die Zusatzkosten, die die Familien dafür stemmen müssen, aber auch die Kosten in der Medizin angesichts verbesserter Therapien, die aber auch teuer sind und auch angesichts der Anspruchshaltung, die sich daraus ergibt, auch richtigerweise, dass die Patienten natürlich eine bestmögliche Gesundheit wollen, was ja vollkommen klar ist.
Das kostet aber auch alles Geld und da müssen wir unbedingt umsteuern und wir haben da nicht mehr so lange Zeit für experimentieren. Und deswegen bin ich sehr gespannt, ob die jetzige Bundesregierung es schafft, das umzusteuern oder ob wir vielleicht irgendwann da hinkommen, dass wir, wie gesagt, auch Legislatur übergreifend mehr strategische Ziele für unser Land schaffen festzulegen, denn das ist tatsächlich toxisch alle drei Jahre, das ist ja nicht vier mit der Legislatur, wieder eine komplette Umsteuerung zu haben und dann ideologische Grabenkämpfe. Das ist leider etwas frustrierend.
(Birgit Schröder) Ja, wir werden es sehen. Wir werden es aufmerksam verfolgen und gucken sozusagen, wohin die Reise geht. Das Spannende, finde ich, an Gesundheitsversorgung ist ja immer, sie betrifft ja jeden völlig unabhängig davon, ob er im beruflichen Kontext oder auch privat betroffen ist. Jeder hat irgendwie seine Erfahrungen da schon gemacht, gute wie schlechte und vielleicht auch an der ein oder anderen Stelle schon frustrierende. Ich finde auch so ein Blick in die Tagespresse zeigt, es gibt ja ständig irgendwelche Geschichten, wie lange Menschen auf Termine warten oder was sonst alles schiefläuft, welche Medikamente nicht lieferbar sind.
Gibt ganz, ganz viele Beispiele auch von Leistungserbringern, die zu Recht frustriert sind, dass die Dinge nicht so laufen, wie man sich das wünscht. Dann auch immer wieder die Diskussion, Versorgung von privat oder gesetzlich versicherten Patienten. Sie haben jetzt gesagt, Sie machen da keinen Unterschied, aber hier in Hamburg ist es tatsächlich Gang und gäbe mit getrennten Wartezimmern. Gibt viele Beispiele, wo man sagt „Nee, Termine erst in sechs Monaten“ und jemand ruft an und sagt: „na gut, dann bin ich bereit, das privat zu bezahlen“, dann kann man dann doch noch kurzfristig kommen.
Also es gibt viele Beispiele, wo das einfach hinten und vorne nicht funktioniert. Und Gesundheit ist ein ganz elementares Gut, das Wichtigste, was wir haben. Und Sie haben es anfangs angesprochen, die kommunalen Krankenhäuser, die zunehmend in der Hand von Kapitalgesellschaften sind, natürlich jetzt andere Interesse haben, als reine Daseinsvorsorgeleistungen zu erbringen. Auch das ist nichts, was man vorwerfen muss, sondern was aus deren Sicht auch wieder konsequent ist, aber insgesamt natürlich alles nicht zu Ende gedacht, was wir hier sehen.
(Marc Hanefeld) Das ist richtig. Unser Staat sollte nicht vergessen, dass es eine Daseinsfürsorge gibt, für die er verantwortlich ist. Und das betrifft eben die medizinische Versorgung im Krankenhaus auf alle Fälle. Das hätte man nicht so aus der Hand geben dürfen, denn das geht ja dann auch-- das ist wirklich Geld, was unser Land verlässt, weil das ja auch in internationale Shareholder Value übergeht. Das ist ja auch mittlerweile sehr, sehr gut bekannt. Und in der ambulanten Medizin, bei der Unterscheidung zwischen Terminen für Kassen- und Privatpatienten gibt es ja immer wieder auch sehr, sehr bittere Diskussionen.
Aber da muss man auch sagen, wenn man budgetiert wird, dann ist es ja so, dass man am Ende kostenlos arbeitet, und wer macht das schon? Und da muss man auf jeden Fall sich drum kümmern. Und ich kann es mal ganz plastisch nur schildern, neben meiner Praxis ist noch eine zweite Praxis gewesen, da ist der Inhaber in Rente gegangen und wir haben mehrere hundert Patienten übernommen. Jetzt ist er nicht mehr da, das heißt, er entnimmt kein Geld mehr aus dem System. Warum werde ich dann budgetiert für eine Mehrarbeit, die ich mache?
Das ist ja auch nicht logisch, das kann man auch keinem erklären. Und ich glaube, da sind ganz, ganz viele strukturelle Veränderungen notwendig, damit sich das bessert. Hoffen wir das Beste.
(Birgit Schröder) Das ist ein wunderbares Schlusswort. Das lassen wir einfach mal so stehen. Prinzip Hoffnung. Ich sage an der Stelle jedenfalls ganz, ganz herzlichen Dank, dass Sie uns ein bisschen Einblick gegeben haben in das, was Sie als Leistungserbringer im hausärztlichen Bereich so umtreibt, was Sie so für Erfahrungen gemacht haben. Und an der Stelle weiß ich das auch sehr zu schätzen, dass Sie zu dieser späten Stunde sich die Zeit genommen haben. Ganz, ganz herzlichen Dank dafür.
(Marc Hanefeld) Ja, sehr gern geschehen. Ich danke für die Einladung.
(Birgit Schröder) Sehr gerne. Und an dieser Stelle auch wieder unser Aufruf: Wenn es ein Thema gibt, das wir hier mal besprechen sollen oder wenn der ein oder andere auch sagt, er selbst möchte ein Thema gerne besprechen, dann freuen wir uns immer auf entsprechende Themenvorschläge und sind dafür auch immer offen. Herzlichen Dank für dieses Gespräch und bis zum nächsten Mal.