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Transkript Ambulantisierung im Krankenhaus

(Prof Dr Birgit Schroeder) Herzlich willkommen zu einer neuen Folge. Wir sprechen über aktuelle Entwicklungen im Gesundheitswesen mit einem ganz spannenden neuen Gesprächspartner. Ich freue mich, dass Sie heute Abend Zeit gefunden haben. Wir nehmen das auf Distanz auf und bitten dann, die gegebenenfalls etwas schlechtere Qualität zu entschuldigen. Und ja, mögen Sie sich selber einmal kurz vorstellen.
(Tim Gueldner) Hallo Frau Professor Schroeder, vielen Dank für die schöne Einladung. Mein Name ist Tim Güldner. Ich komme aus dem schönen Bayern, Bamberg nähe Nürnberg, und ich arbeite im Klinikum Bamberg, der Sozialstiftung Bamberg. Es ist ein Krankenhaus der Maximalversorger und ich habe heute das Thema der Ambulantisierung mit Ihnen zu besprechen, Frau Schröder, so viel zu mir. Ich bin 30 Jahre, habe meine Bachelorarbeit dieses Jahr erfolgreich bestanden, oder mein Studium Gesundheits- und Sozialmanagement erfolgreich bestanden. Ja, so viele kurze Informationen zu mir.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, herzlichen Dank. Dann wissen wir, mit wem wir es zu tun haben. Und in der Tat möchte ich mit Ihnen sprechen über Ihre Bachelorarbeit und über das, was Sie da so rausgefunden haben. Und unser großes Thema heute Abend steht so ein bisschen unter dem Oberbegriff: Ambulantisierung im Krankenhausbereich, Ambulantisierung von Leistungen. Vielleicht erzählen Sie uns einmal ganz kurz, wie Sie überhaupt auf das Thema gekommen sind.
(Tim Gueldner) Ja, also das Thema hat mit meiner beruflichen Tätigkeit zu tun. Ich bin Referent der Klinikdirektion im Klinikum Bamberg und durch den durch die geplante Ambulantisierung hat sich das einfach in meinem Arbeitsalltag so ergeben, dass im Klinikum Bamberg beschlossen wurde, eine Teststation zu eröffnen, um die ambulanten Patienten zu versorgen und zu testen. Dabei geht es vor allen Dingen um die prozessualen Schritte. Wir wollten monitoren, was das monetär für uns bedeutet, wenn wir stationäre Leistungen in den ambulanten Bereich verlagern. Gründe dafür waren die tagesstationäre Behandlung, die neu eingeführt ist im Jahr 2023 und die Erweiterung des AOP-Kataloges, der schrittweise 2023 und 2024 erweitert worden ist. Ja, und das hat für ein Krankenhaus der Größe der Sozialstiftung Bamberg enorme Auswirkungen. Wenn jetzt auf einmal viele stationäre Fälle auf einmal in den ambulanten Bereich verlagert werden müssen, die wesentlich schlechter vergütet sind. Und es hat für uns extrem große Auswirkungen gehabt und da hat sich das Ganze so ergeben mit der Teststation und der anstehenden Bachelorarbeit, dass ich das Ganze managen konnte und so dann am Schluss die erfolgreiche Bachelorarbeit abgegeben werden konnte.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, genau. Und wenn Sie vielleicht, fangen wir mal so an, wenn Sie das Ergebnis so ein bisschen vorwegnehmen. Also was haben Sie so feststellen können in Ihrer Arbeit? Oder wenn Sie das Ergebnis vielleicht einmal so kurz zusammenfassen könnten, wäre das, glaube ich, ganz toll.
(Tim Gueldner) Also das Ergebnis mal vorweggenommen: Aus Sicht eines Krankenhauses, und aus Sicht der Sozialstiftung Bamberg gesprochen, ist die Ambulantisierung oder die Durchführung ambulanter Eingriffe im stationären Setting nicht kostentragend. Mit den Erlösen aus dem stationären Bereich fährt die Klinik wesentlich besser. Die ganzen Strukturen sind auf stationäre Versorgung ausgelegt der Patienten. Die Kostenstrukturen sind alle auf stationäre Leistungen ausgelegt. Auch die Herangehensweise des ganzen Prozesses ebenfalls alles auf stationäre Setting und wenig aufs ambulante Setting ausgelegt. Bei uns in der Klinik werden schon immer ambulante Eingriffe durchgeführt, aber nicht in der Größe, bzw. nicht in der Vielzahl. Da kommen wir natürlich dann auch an die Belastungsgrenzen. Wir haben aktuell drei ambulante OP Säle, die waren davor schon gut ausgelastet und sind es jetzt zunehmend.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber es ist schon ein wesentlicher Teil der Strukturveränderung, wahrscheinlich?
(Tim Gueldner) Absolut ja. Also, es führt kein Weg dran vorbei. Jetzt ist die große Herausforderung, den Shift hinzukriegen, das Ganze finanziell oder wirtschaftlich abzubilden, so dass die Patientenversorgung gewährleistet ist und auch das Ganze für das Unternehmen dann auch noch tragbar ist. Weil es gibt Eingriffe, die durchgeführt werden, wo dann mit über 75 % weniger vergütet sind, auf einmal von heute auf morgen. Und das ist dann schon beachtlich. Die sind bis vor kurzem stationären Bereich durchgeführt worden, als die vergütet wurden. Und durch die Umstellung in den AOP-Katalog ist die Vergütung deutlich zurückgegangen. Also das ist ein großer Shift, ein großer Strukturwandel, ja.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und was sind jetzt so die Treiber? Also sind es tatsächlich die Kosten, die jetzt sozusagen dazu führen, dass man mehr Leistungen ambulant erbracht haben will? Oder liegt es am Fachkräftemangel? Oder sind es ganz viele Gründe?
(Tim Gueldner) Hm, ich glaube, das sind ganz viele Gründe. Aber als Hauptgrund und als Treiber würde ich im Moment die wirtschaftliche Situation sehen. Das ist ja allseits bekannt, dass das Gesundheitswesen etwas kränkelt, was die Finanzierung angeht. Und ich glaube, dass das aktuell noch der größte Treiber ist. Natürlich spielen die Fachkräfte auch eine enorme Rolle. Macht dann schon einen großen Unterschied, ob ich jetzt einen Patienten im Dreischicht-System versorge oder 24/7 oder im ambulanten Bereich für ein paar Stunden und ihn dann wieder ins häusliche Umfeld entlassen kann. Also aus meiner Sicht sind die Kosten aktuell noch der größte Treiber.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und wenn Sie so die größten Herausforderungen für die Kliniken beschreiben, sind die eher prozessual oder baulich oder wirtschaftlich? Also was ist sozusagen das, was den Kliniken da die größten Kopfschmerzen bereitet?
(Tim Gueldner) Ja, tatsächlich die wirtschaftlichen Gesichtspunkte. Also da ist ja auch ganz viel im Gespräch aktuell mit der Krankenhausreform allgemein. Es sind ja schon viele Kliniken letztes Jahr oder auch dieses Jahr in die Insolvenz gerutscht. Auch hier in unserem näheren Umfeld hat es jetzt eine oder mehrere Kliniken getroffen. Das war ein Klinikverbund, der jetzt insolvent ist. Und daher spielt die wirtschaftliche Situation schon eine sehr große Rolle, weil es wirklich um ums Überleben vieler Krankenhäuser geht, wenn auf einmal die Vergütung so signifikant sinkt. Gerade je nach den Bereichen, die bespielt werden durch die Krankenhäuser. Wenn kleinere Häuser, die eher ambulante Eingriffe versorgen, die werden dann schon größere Probleme haben, das Ganze wirtschaftlich darzustellen. Baulich würden wir uns natürlich wünschen, wir hätten einen ambulanten OP, den wir neu bauen könnten und separat aus der Klinik ausgliedern könnten. Das wäre unser größter Wunsch. Weil es ist einfach so, das hatte ich ja vorhin schon mal erwähnt, dass das die stationären Strukturen viel zu sehr in den ambulanten Bereich überschwappen. Die Kostenstrukturen sind anders, die Arbeitsweise im stationären Bereich anders. Im ambulanten Bereich ist das anders durchgetaktet, anders skaliert. Und deswegen wäre so ein harter Cut aus meiner Sicht auf jeden Fall besser, um die Prozesse klar zu trennen, ja. Was auch ein Problem ist aus meiner Sicht: Der Patient stellt sich in der Klinik vor und der behandelnde Arzt muss dann schon entscheiden: Wird es ein ambulanter Eingriff, ein stationärer Eingriff? Da gibt es dann ganz viele, jetzt mittlerweile mit Kontextfaktoren – vielleicht kriegt man Patient trotzdem in den stationären Bereich? Also, es ist Bürokratie pur mittlerweile, aus Sicht der Ärzte auch. Also es ist schon sehr spannend. Und klar, die Prozesse, also die Teststationen, haben wir auch aufgebaut und betrieben, um die Prozesse zu analysieren. Und es ist schon eine erhebliche Umstellung, das Ganze in dem ambulanten Bereich durchzuführen, mit dem Hintergedanken der Wirtschaftlichkeit.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber was heißt denn das ganz konkret? Also wenn man feststellt, dass eben die Erbringung ambulanter Leistungen in einem stationären Setting gar nicht kostendeckend ist oder wirtschaftlich völlig unattraktiv ist, das kann ja letztlich, aus Sicht der Krankenhäuser gedacht, nur dazu führen, dass man es dann nicht macht, oder?
(Tim Gueldner) Das haben Sie sehr gut zusammengefasst, Frau Professor Schroeder. Letztendlich wird es so sein. Oder kann es gut sein, dass es zum Versorgungsmangel kommen wird? Ein gutes Beispiel sind die HNO-Kinder, die Tonsillektomie bekommen sollen. Das Ganze ist einfach extrem wirtschaftlich unrentabel. Wir führen das Ganze noch durch, aber man macht mit jedem Eingriff ein Minus, wenn man die Leute trotzdem im stationären Bereich hält. Kinder dann gleich wieder heimschicken oder in den ambulanten Bereich bei Tonsillektomie... Ja, kann man machen, muss man nicht. Ja, und wir gehen davon aus, oder ich gehe auch davon aus, dass es tatsächlich zum Versorgungsdefizit kommen wird. Dass sich die Krankenhäuser aufgrund der wirtschaftlichen Situation auf lukrative Eingriffe fokussieren. Und die ambulanten Fachärzte sind ja jetzt schon teilweise sehr gut ausgelastet. Und ob die dann die OPs durchführen können, wollen, und ob die baulichen Ressourcen vorhanden sind, ist dann auch fraglich. Also aus meiner Sicht ist das eine gefährliche Situation, was zum Versorgungsmangel der Bevölkerung führen könnte.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und dem könnte man im Endeffekt, wenn ich das richtig verstehe, ja nur dadurch begegnen, dass man an der Vergütungsschraube dreht. Letztendlich, dass man also sozusagen die Leistungen so vergütet, dass sie für Krankenhäuser wirtschaftlich zumindest nicht völlig uninteressant sind. Sagen wir es mal ganz vorsichtig.
(Tim Gueldner) Genau. Da hat der Gesetzgeber jetzt dieses Jahr die ersten Schritte in die Wege geleitet. Mit den sogenannten Hybrid-DRGs, die sie eingeführt haben. Das heißt, das ist eine sektorengleiche Vergütung im ambulanten und im stationären Bereich vorhanden, oder das gibt es dann. Und aus Sicht des Krankenhauses darf das Krankenhaus dann entscheiden, ob der Patient stationär oder ambulant versorgt wird. Also es liegt im Ermessen des behandelnden Arztes, inwieweit die Behandlung stationär oder ambulant fortgeführt wird. Aber es gibt nur eine Vergütungsstruktur, also eine Vergütung, egal wie wie sich die Situation ergibt oder die Behandlung ergibt, ob stationär noch notwendig wird oder ob der Patient trotzdem ambulant heim darf. Da ist das aber von der Finanzierung auch noch nicht ganz klar geregelt vom Gesetzgeber. Da gibt es noch viele offene Fragen. Solche Geschichten wie die Einsendungen in die Pathologie. Ist das in der DRG mit abgebildet oder wird es der Apparat vergütet? Das ist alles noch nicht geklärt. Deswegen haben wir hier auch in der Klinik tatsächlich noch keine Hybrid-DRGs abgerechnet, soweit ich das jetzt nach meinem Kenntnisstand weiß. Ja, es ist sehr spannend. Es ist sehr dynamisch, der ganze Prozess, die Umstellungen kommen auch relativ kurzfristig aus Sicht der Kliniken. Also die Beschlüsse haben sehr wenig Vorlaufzeit. Es gibt zwar immer so vage Aussagen oder Referentenentwürfe, aber der letztendliche Gesetzentwurf ist meistens relativ kurzfristig. Das stellt die Kliniken, aber auch die ambulanten Versorger schon vor ein Problem, würde ich sagen.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber Sie haben ja eben gerade angesprochen, es könnte zu einem Versorgungsmangel oder zum Versorgungsdefizit kommen. Sehen Sie auch so ein kleines bisschen die Gefahr einer noch stärkeren Rosinenpickerei, dass man sich sozusagen immer noch mehr die Fälle raussucht, sozusagen, die problemlos durchrauschen und bei allen anderen, dass man die dann irgendwie, keine Ahnung, an die Konkurrenz abgibt. Also das ist natürlich als großer Maximalversorger schwierig, aber auch da kann man ja schon ein bisschen Risikoselektion, sag ich mal, betreiben.
(Tim Gueldner) Genau. Also wir haben einen Versorgungsauftrag als Stiftung. Deswegen ist es bei uns immer ein bisschen anders wie als bei den privaten Trägern. Was noch ganz interessant ist in dem Zusammenhang mit der Rosinenpickerei ist natürlich auch die Krankenhausreform mit den Leveleinteilungen, die jetzt kommen soll. Da wird es natürlich spannend, dass die einzelnen Leistungsträger auch ihre Fallzahlen erfüllen, um in die Leistungsgruppe aufgenommen zu werden und auch ihre Leistungen noch nach der Reform anbieten zu können. Also ich glaube, diese Rosinenpickerei wird noch extremer und das Abwerben lukrativer Eingriffe, die in die Krankenhausreform mit reinspielen. Also es wird einen großen Konkurrenzkampf um die Patienten geben aus meiner Sicht. Gerade wenn kein Monopol vorherrscht, werden viele Kliniken, die die gleichen Leistungen anbieten, wird es ein spannender Wettkampf um jeden Patienten aus meiner Sicht.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ist das gut oder schlecht für die Patienten?
(Tim Gueldner) Das Positive vorweg: Ich glaube, das ist gut. Weil Konkurrenz belebt das Geschäft, heißt es ja so schön. Also ich glaube schon, dass ich um die Patienten bemüht wird. Auch dass die Qualität stimmt. Natürlich schlecht ist es im Gesundheitswesen immer, wenn wirtschaftliche Anreize oder wirtschaftliche Aspekte da mit reinspielen aus meiner Sicht.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber das ist es ja schon lange, wenn man ehrlich ist.
(Tim Gueldner) Genau deswegen – ja, es bleibt spannend. Ich meine, perspektivisch gesehen, aus Sicht des Patienten ist es, glaube ich, keine schlechte Geschichte. Die Leistungen werden gebündelt in Kliniken, die die Größe dazu haben die, die das Fachwissen haben. Und auch in der Sache Ambulantisierung: Es muss nicht jeder Patient wirklich immer da bleiben, was in der Vergangenheit der Fall war. Deswegen...auch die Patienten haben Vorteile, können wieder in ihr häusliches Umfeld entlassen werden. Ja, also es hat auch Vorteile für die Patienten.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und natürlich muss man so ein bisschen abwarten, wie so die weitere Entwicklung ist. Und sie hatten ganz am Anfang angesprochen: dieses Verhältnis Klinik und ambulante Versorger, also ambulante OP-Zentren, MVZs, was auch immer. Sehen Sie da auch so ein bisschen Kräftemessen zwischen dem stationären Sektor, der ambulant operiert, und zwischen dem ambulanten Sektor, der ambulant tätig ist?
(Tim Gueldner) Ja, teils, teils. Aus Sicht meines Arbeitgebers haben wir den Vorteil, dass wir viele MVZs haben und dadurch gute Strukturen aufgebaut haben. Wir haben auch Belegärzte im Haus, die ambulante Eingriffe durchführen. Also es ist eine gute Zusammenarbeit aktuell aus Sicht der Klinik und der ambulanten Versorger vorhanden. Spannend bleibt es dann wirklich, ob die niedergelassenen Fachärzte wirklich das Volumen dann abarbeiten können, wenn diese Umstellung wirklich tatsächlich vollumfänglich durchgeführt wird. Ob die dann wirklich die Patienten noch neben ihrem Praxisalltag im OP versorgen können und wollen. Und ob da natürlich auch für die dann wirtschaftlich der Anreiz vorhanden ist. Das hat dann doch viel mit Investitionen zu tun. Das heißt, eigene Operationsmöglichkeiten zu kreieren, Partnerschaften zu kreieren oder auch irgendwo einmieten in irgendwelche Operationssäle. Also da gibt es viele Optionen und ob das ein Kräftemessen gibt, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube, dass es eher für die Patienten schwierig wird, Termine zu kriegen. Und die Patienten sind froh, wenn sie irgendwo angenommen werden, und nicht, dass es einen Konkurrenzkampf gibt zwischen um die Patienten.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und wenn Sie sich die Entwicklung jetzt anschauen... Sie haben das ja schon gesagt: Wahnsinnige Dynamik drin, ein sehr aktives Gesundheitsministerium, das kann man, glaube ich so sagen... Viele Ideen, nicht unbedingt alle immer zu Ende gedacht, bevor sie auf den Weg gebracht werden. Man sieht ja auch bei diesem ganzen Thema Krankenhausreform, dass ja auch vieles, was man vielleicht durchaus für sinnvoll hält, politisch nicht immer alles so einfach umsetzbar ist. Wir haben viele Beteiligte mit ganz unterschiedlichen Interessen, auch viele politische Interessen, die eine Rolle spielen. Das kann man, glaube ich, ganz wertfrei erstmal so sagen. Wenn Sie sich so dieses ganze Feld angucken und da ja nun sehr aktiv, sag ich mal, mittendrin arbeiten. Ist das was, was Sie mit großer Sorge sehen, dieses Krankenhausreform-Thema oder sagen Sie: Nein, Das kann auch einfach eine Chance sein für die Krankenhauslandschaft?
(Tim Gueldner) Aus meiner persönlichen Sicht ist das, glaube ich, eine große Chance, weil wir haben viele Doppelvorhaltungen. Jetzt bezogen auf unseren Landkreis, zum Beispiel, gibt es viele Kliniken, die dieselben Eingriffe anbieten. Die Frage ist, ob das wirtschaftlich Sinn macht und ob man nicht die Kompetenz irgendwo bündeln sollte. Weil jetzt halten wir für eine OP in jedem Krankenhaus dieselben Siebe vor und es würde vielleicht reichen, wenn in zwei Krankenhäusern statt in fünf die ganzen Ressourcen gebündelt sind. Gerade wenn die Versorgung, das Versorgungsnetz, eng ist. Und ich gehe auch davon aus, dass die Patienten große Vorteile haben, wenn sie in Fachzentren kommen, die auch die nötige Kompetenz haben und nicht einfach in, salopp gesagt, in einer Wald- und Wiesenklinik dann mit großen Operationen oder mit onkologischer Erkrankungen behandelt werden.
(Tim Gueldner) Ohne jetzt den kleineren Kliniken zu nahe treten zu wollen, aber ich glaube, es ist schon sinnvoll, das geballt an größeren Zentren zu machen, solche komplexen Behandlungen. Und es hat auch für die kleineren Versorger dann den Vorteil, dass sie diese Ressourcen nicht mehr vorhalten müssen und sich auf ihre Fachgebiete konzentrieren können und da ihre Kompetenz entfalten können. Also ich glaube, ich sehe da eher eine Chance als einen Nachteil. Die große Schwierigkeit wird einfach die prozessuale Umstellung sein. Keiner will der Verlierer am Ende sein und irgendwelche Kompetenzen abgeben wollen. Oder die wenigsten. Es ist sehr viel Politik im Spiel, wie Sie auch schon gesagt haben, auch auf Landesebene. Selbst auf Landesebene, hier in Bayern, ist es ja auch noch mal immer etwas anders. Die Welt dreht sich hier noch etwas anders. Ja, aber es ist sehr viel Politik im Spiel und deswegen bleibt es spannend, wer da als... ich will nicht sagen, als Gewinner und Verlierer [hervorgeht], aber... wie sie sich die ganze Situation eben entwickelt.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber grundsätzlich ist ist man sich wahrscheinlich einig, dass man ja tendenziell Sachen besser macht, wenn man sie öfter macht. Dass man eben schon für bestimmte Eingriffe auch sinnvollerweise auf bestimmte Fallzahlen kommen sollte, um eben eine gleichbleibende Qualität sicherzustellen.
(Tim Gueldner) Absolut genau. Die ersten Schritte sind ja schon gemacht. Gerade in der onkologischen Behandlung werden ja mittlerweile Mindestzahlen gefordert. Und aus meiner persönlichen Sicht ist das ja auch eine sinnvolle Sache. Natürlich ist es für den einen oder anderen Leistungserbringer dann schwierig, wenn sie dann durch die Krankenhausreform ihre Kompetenz abgeben müssen. Aber ich denke, das ist langfristig gesehen ein großer Vorteil.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und wie stehen Sie zu diesem Einwand, der ja gelegentlich kommt, dass der Patient immer möglichst wohnortnah versorgt werden soll? Also ist das für Sie überhaupt ein Argument? Oder sagen Sie: Na ja, so aus der Praxis gedacht ist es doch eigentlich sinnvoller, ich habe zwar einen bisschen weiteren Weg, aber dafür eine bessere Behandlungsqualität?
(Tim Gueldner) Genau. Also aus meiner Sicht und aus der klinischen Sicht würde ich lieber gleich in die Fachklinik oder in die gut ausgelegte Klinik gehen, bevor ich in ein kleineres Haus gehe. Also gerade wenn ich schwerer verletzt bin, schwerere Erkrankungen habe, sagen wir einen Apoplex. Wenn eine kleine Klinik eine Apoplex, einen Schlaganfall, nicht behandeln kann, dann möchte ich lieber die fünf Minuten oder zehn Minuten längeren Fahrtweg auf mich nehmen, als erst die Zwischenstation in der anderen Klinik zu machen, die Diagnostik zu fahren und dann festzustellen: Oh, wir können es nicht behandeln und werde dann weiter verlegt, und wertvolle Zeit geht verloren. Also aus meiner Sicht würde ich lieber den etwas längeren Fahrtweg in Kauf nehmen, habe aber dafür gleich alle Ressourcen vorgehalten, die für meine Erkrankung benötigt werden als eine Weiterverlegung. Und das ist natürlich ein gutes Argument. Ich glaube, gerade viele Ältere sind froh, in einer kleineren, ruhigeren Umgebung behandelt zu werden. Die Angehörigen sind in der Nähe. Ich glaube, das spielt schon auch eine große Rolle, dass das Ganze im heimischen oder im heimischen Umfeld stattfindet, die Behandlung.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber wahrscheinlich ist das wie in vielen Bereichen: Man kann halt nicht alles haben, man kann es nicht besonders dicht und besonders qualitativ hochwertig haben. Irgendeinen Tod müssen wir an der Stelle dann wahrscheinlich sterben. Dass man sagt, okay, man hat ein bisschen weiteren Weg, aber dafür eine bessere Qualität. Oder man sagt, naja, es ist halt dicht, aber dafür dann vielleicht in einem Haus, das eben nicht so viel Erfahrung mit bestimmten Dingen hat, wie es vielleicht wünschenswert wäre.
(Tim Gueldner) Ja, absolut. Sehe ich ganz genauso.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, wir kommen so langsam schon zum Ende. Wenn Sie jetzt so Ihre Erfahrungen aus Ihrem klinischen Alltag und dem, was Sie so in der Bachelorarbeit zusammengetragen haben, was würden Sie prognostizieren? So die große Glaskugel – wie geht es weiter?
(Tim Gueldner) Wie geht es weiter... Ich glaube, dass wesentlich mehr Eingriffe in den ambulanten Bereich oder ins ambulante Setting rutschen werden. Ich glaube auch, dass das die Zukunft sein wird, die ambulante Versorgung. Dass immer weniger stationär durchgeführt wird. Allein aufgrund der Finanzierung des Gesundheitswesens wird das ganze System, so wie es jetzt läuft, nicht machbar sein. Andere Länder sind ja auch schon wesentlich weiter in der Ambulantisierung. Wenn man nach Amerika schaut, da werden schon extrem viele Eingriffe ambulant durchgeführt. Und ich glaube auch, dass das unsere Zukunft sein wird, dass immer mehr in den ambulanten Bereich verlagert wird. Ich glaube aber auch, dass der Prozess relativ lange dauern wird. Das wird nicht die nächsten ein, zwei Jahre passieren. Das wird jetzt sukzessive über die nächsten Jahre kontinuierlich anwachsen, der ambulante Bereich aus meiner Sicht. Ja, dann wird es spannend, ob und wie die Patienten versorgt werden im ambulanten Bereich, ob die Finanzierung gesichert ist, wenn das Ganze im stationären Setting, also im Krankenhaus, durchgeführt wird, oder ob die Vergütung dann so lukrativ ist, dass das dann auch die niedergelassenen Fachärzte machen. Also das ist für mich die größte Frage und da habe ich tatsächlich auch keine Antwort drauf. Und ich glaube nicht, dass die niedergelassenen Fachärzte das alles kompensieren können, was aus den Kliniken dann abwandern würde.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und wenn sie der Politik, egal ob auf kommunaler oder auf Landes- oder auf Bundesebene einen Rat geben dürften aus Sicht der Kliniken – was wäre denn das?
(Tim Gueldner) Aus Sicht der Kliniken wären das Entscheidungen, die auch durchgesetzt werden. Dass das Ganze einfach einmal entschieden wird, egal, ob das jetzt gut oder schlecht ist. Aber es ist wichtig, dass eine Entscheidung und eine Sicherheit für die Kliniken vorherrscht. Weil es ist so viel Unsicherheit, es ist so viel Spekulation im System. Aufgrund der Verzögerungen kommt es auch immer mehr zu Insolvenzen, was ich vorhin schon mal angesprochen hatte. Weil einfach die Krankenhausreform stockt, weil sich keiner einig ist. Also das wäre ganz wichtig eine Entscheidung zu treffen. Also es sollte eine wohlüberlegte Entscheidung sein, ob die jetzt richtig oder falsch war, würde man erst im Verlauf sehen. Aber ja, wir sind wir jetzt auch nicht immer perfekt gefahren. Das war damals auch eine Entscheidung und jetzt ist es, denke ich, an der Zeit, das Ganze zu überarbeiten.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber das heißt, Sie wünschen sich eigentlich so was wie Planungssicherheit, ne?
(Tim Gueldner) Planungssicherheit und vor allen Dingen, dass die wirtschaftliche Situation, dass der Kostendruck etwas rausgenommen wird aus dem System. Also der ist wirklich enorm. Und das ist jetzt nicht nur auf die Kliniken bezogen, es ist ja überall der hohe Kostendruck. Und ich halte es für sinnvoll, dass der Kostendruck etwas aus dem System genommen wird, dass auch wieder Investitionen im Gesundheitswesen gemacht werden können. Aktuell sind die Investitionen relativ zurückgeschraubt, weil jeder sparen muss. Also es wäre, auch aus Sicht der Patienten, natürlich schön, wenn da kein Kostendruck im System ist oder etwas weniger, ja.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, dann hoffen wir doch mal, dass sie jemand gehört hat an dieser Stelle und das dann vielleicht umsetzt. Also ich glaube eben auch... ich mache seit 20 Jahren Medizinrecht hier in Hamburg, eben auch als als Medizinanwältin. Und immer wenn ich mit Kliniken zu tun habe, dann ist es genau das, was sie sagen. Die sagen auch: Es ist uns schon fast nicht ganz so wichtig, was entschieden wird, aber wir brauchen Entscheidungen. Und wir brauchen Sicherheit und Planungssicherheit und wollen einfach auch nicht ständig uns irgendwie neu anpassen müssen, sondern wir brauchen eben auch mal eine gewisse Verlässlichkeit und Berechenbarkeit für das, was passiert. Und das, was wir im Moment erleben, ist einfach so dynamisch und so unsicher, dass wir uns auch gar nicht so richtig aufstellen können.
(Tim Gueldner) Ja, absolut. Also wäre schön, wenn es so kommt. Wir bleiben positiv. Mal schauen, was dann auch unser Gesundheitsministerium entscheidet, wie sie entscheiden und wann sie entscheiden. Das ist ein großes Thema.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja und ich glaube auch das kennen wir ja in vielen anderen Bereichen auch. Man kann ja auch mal eine vielleicht vermeintlich falsche Entscheidung treffen. Oder eine, die sich im Nachhinein als vielleicht nicht so glücklich irgendwie herausstellt. Aber ich glaube dieses Nicht-Entscheiden und diese Unsicherheit und, so wie Sie sagen, diese Spekulationen, die dann irgendwie vorherrschen, da ist ja auch irgendwie gar keinem mit geholfen, finde ich.
(Tim Gueldner) Nee, absolut nicht. Also sehr viel Unsicherheit im System, aktuell bezogen auf die Krankenhausreform und vor allen Dingen auch auf die Ambulantisierung. Sehr viel Bürokratie. Also es wäre schön, wenn das Ganze etwas entschlackt, vereinfacht wird und klare Zielvorgaben gemacht werden. Dass man es natürlich nicht allen recht machen kann, dass es Verlierer und Gewinner geben wird, das ist ganz klar. Und das ist für diejenigen dann auch, gerade für die Verlierer, eine unschöne Situation. Aber ich denke, dass gehandelt werden muss.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Das war ein wunderbares Schlusswort. Das lassen wir einfach so stehen, dem fügen wir jetzt gar nichts mehr hinzu. Okay, ja, ich bedanke mich ganz herzlich, Herr Güldner, dass Sie uns einen Einblick gegeben haben in das, was Sie in Ihrer Bachelorarbeit festgestellt haben. Und ich glaube, dass das immer ganz spannend ist, also wenn wir Gespräche führen, auch mit unseren Absolventen, wo man eben so ein bisschen guckt, wie viel Praxisbezug das eigentlich auch hat, was sie so in den Bachelorarbeiten bearbeiten. Und ich glaube, das war einfach ein spannender Einblick in dieses Thema, was ja auch viel in der Presse vorherrscht. Einfach mal mit jemandem zu besprechen, der das ja live und in Farbe quasi jeden Tag am Arbeitsplatz hat. Insofern sage ich ganz, ganz herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns da ein bisschen Einblick zu geben. Ja, und ich wünsche Ihnen einfach, dass all das, was Sie an Rat an die Politik gegeben haben, dort auch ankommt und vielleicht wenigstens zum kleinen Teil umgesetzt wird. Damit eben das, was Kliniken im Moment brauchen, vielleicht dort auch irgendwann mal ankommt. Also ganz, ganz herzlichen Dank an der Stelle für das Gespräch.
(Tim Gueldner) Sehr gerne, Frau Professor Schröder, vielen Dank für die Einladung. Vielen Dank, dass ich da sein durfte. Hat sehr viel Spaß gemacht und vielleicht hört man sich mal wieder.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, würde mich freuen. Vielen Dank. Und an dieser Stelle auch der Hinweis an alle, die uns zuhören: Wenn Sie spannende Gesprächspartner kennen, die auch etwas beizutragen haben zu den aktuellen Entwicklungen im Gesundheitswesen, dann freuen wir uns immer auf Ihren Hinweis.

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