Transkript Digitalisierung Gesundheitswesen
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Herzlich willkommen! Eine neue Podcastreihe: Aktuelles im Gesundheitswesen. Wir wollen uns beschäftigen mit dem, was das Gesundheitswesen umtreibt, aktuelle Herausforderungen und Entwicklungen. Und dazu habe ich mir aus der HFH Menschen mit besonderer Expertise gesucht. Heute unser Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen.
Ein großes Thema, sehr unterschiedlich wahrgenommen und ich freue mich über meinen allerersten Gesprächspartner in dieser Podcastreihe. Marco Wage. Herzlich willkommen! Schön, dass du da bist. Magst du dich einmal vorstellen?
(Prof. Dr. Marco Waage) Ja, Hallo. Freut mich sehr. Ja, Marco Waage, meinen Namen hast du gesagt. Ich bin Professor für Wirtschaftsinformatik hier an der Hamburger Fern-Hochschule. Seit ziemlich genau einem Jahr heute. Gestern, genau genommen. Und Digitalisierung ist da natürlich auch ein großes Thema von mir. Ich beschäftige mich ganz viel mit ganz verschiedenen Themen der Wirtschaftsinformatik. Digitalisierung, Informationsmanagement, sehr viel auch Geschäftsprozessmodellierung, Geschäftsprozess ja auch im– Geschäftsprozesse, digitale Geschäftsprozesse, in diesem Bereich.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, sehr schön. Also erst mal herzlichen Glückwunsch nachträglich zum 1-jährigen sozusagen. Toll, dass du dir die Zeit genommen hast und wir steigen einfach gleich mal ein. Großes Thema Digitalisierung, laufend in der Presse hat uns vor Corona schon ein bisschen beschäftigt, aber nach Corona oder während Corona natürlich nochmal in besonderer Weise.
Und ich würde die Folge gerne so ein kleines bisschen unter die große Fragestellung setzen "Mehr Chance oder mehr Risiko?", wenn man das vielleicht so als Einstiegsfrage im Hinterkopf behält. Erste Assoziation, ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen?
(Prof. Dr. Marco Waage) Ich sehe die Digitalisierung auf jeden Fall als Chance. Es gibt zahlreiche neue Technologien, die wir jetzt nutzen können in der Zwischenzeit. Die Entwicklung geht rasend schnell voran. Das Ganze muss kanalisiert werden und dann ist es eine sehr große Chance aus meiner Sicht.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Das ist doch eine sehr optimistische Einschätzung. Gleichwohl werden wir sehen, sie wird, glaube ich, nicht allgemein so geteilt. Gibt wie immer natürlich auch Leute, die große Bedenken haben. Die muss man auch ernst nehmen. Sicherlich, muss man auch mitnehmen. Aber wir starten mal mit diesem, mit diesem optimistischen Blick auf diese Herausforderung. Was würdest du denn sagen?
Also wir erleben ja Digitalisierung überall und sind dem ja würde ich persönlich sagen, relativ aufgeschlossen. Wir bezahlen selbstverständlich mit dem Handy. Mich überwacht so eine Smartwatch den ganzen Tag. Wir bestellen im Internet. Es gibt so viele Dinge, die wir so ganz selbstverständlich machen. Autofahren ohne Navi ist völlig undenkbar.
Warum ist es vielleicht so, dass wir da sehr offen sind und im Gesundheitswesen eher so ein bisschen vorsichtig oder zurückhaltend, vielleicht geradezu skeptisch?
(Prof. Dr. Marco Waage) Ich glaube einfach, dass wir im Gesundheitswesen einige zusätzliche Herausforderungen haben, die wir in anderen Bereichen nicht haben. Gerade eben, was du eben sagtest, was die Risiken, die Kanalisierung, die ich angesprochen habe, ist da sehr viel wichtiger. Wir haben Themen, was Datenschutz angeht, die dort sehr viel wichtiger sind. Das Beispiel, was du eben gesagt hast, die Smartwatch. Dort müssten wir sehr viel mehr darauf achten, welche Daten wir weitergeben, weil einfach gerade im Gesundheitsbereich es sich um sehr private Daten handelt und nicht so sehr um vielleicht nicht ganz so sensible Daten, die wir in anderen Bereichen sammeln in dem ganzen Bereich.
Zwei Punkte habe ich noch, wo die, die oder die Digitalisierung im Gesundheitswesen aus meiner Sicht auch nicht ganz einfach ist. Wir haben auf der einen Seite einen sehr regulierten Markt über die Krankenkassen usw. Man sieht es jetzt bei den Gesundheitsapps, die jetzt ja zum Glück gekommen sind, dass es dort auch lange gedauert hat, bis wir dort eine Finanzierungsmöglichkeit haben, so was.
Diese Probleme haben wir natürlich nicht, wenn wir in einer freien Wirtschaft uns oder da sind. Daher müssen wir schauen, dass dort noch ganz andere Restriktionen sind in dem ganzen Bereich.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Das finde ich total spannend, weil wir haben ja eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung von Datenschutz und Datensensibilität. Es gibt ja, man muss jetzt gar nicht die sozialen Medien bedienen, wenn man sich überlegt, was Leute alles bei Instagram hochladen, in welchen Lebenssituationen, was sie vielleicht zehn Jahre später bitter bereuen, welche Daten sie auch preisgeben.
Aber so Dinge wie die persönlichen Daten, die man eben im Gesundheitswesen erhebt, das ist ja so das Sensibelste, was wir haben. Unser Bundesverfassungsgericht ist da ja auch immer sehr hinterher. Das Thema informationelle Selbstbestimmung, die die Möglichkeit, dass ich als Patient souverän meiner Daten bin, da gibt es ja eine große Diskrepanz.
Glaubst du, dass es trotzdem sinnvoll ist, diese Digitalisierung weiter voranzutreiben, auch mit dem Ziel, alle mitzunehmen. Oder ist es vielleicht auch so, dass man ab einem gewissen Punkt sagen muss "Na ja, Bedenkenträger gibt es überall. Das muss man ernst nehmen. Aber man muss dann vielleicht auch mit ein bisschen Elan das Ganze voranbringen."
Ich kann mich erinnern, ich bin jetzt seit 2004 anwaltlich tätig, und ganz am Anfang habe ich eine Fortbildung gemacht, da ging es um die elektronische Patientenakte. Riesenthema damals schon. Da hieß es: Na, maximal noch fünf Jahre, dann ist das auf dem Markt. So, jetzt ist ja die abgespeckte, abgespeckte, abgespeckte Version irgendwie unterwegs, die uns auch nicht so richtig voranbringt.
Alle klagen darüber, vor allen Dingen die Leistungserbringer. Und trotzdem hat man so das Gefühl, da tut sich nicht so richtig viel. Kann man da, hast du irgendeine Idee, was man da tun kann, um dieses Ziel Digitalisierung voranzutreiben und trotzdem nicht die Leute so zu überfahren?
(Prof. Dr. Marco Waage) Ich glaube, das ist ein langer Prozess, den man da auch haben wird. Ich merke, dass die Menschen dort sich an Dinge langsam gewöhnen. Und auch jetzt, wo das neue elektronische Rezept da ist usw., wird es diese Gewöhnung auch geben. Ich glaube, da muss man in kleinen Schritten vorangehen. Wie du gesagt hast auch alle Menschen mitnehmen. Alle wird man sicherlich nie mitnehmen können. Es wird sicherlich Ausnahmen geben, aber gerade bei dem Thema halte ich einen breiten Konsens für enorm wichtig, um dort auch mit voller Kraft weitermachen zu können. Daher denke ich kleine Schritte, kleine Entwicklungsstufen, wo wir jetzt die ersten Schritte machen, um dort dann auch voranzukommen, ist ganz wichtig.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Man fragt sich natürlich so ein bisschen, wenn man es in die Hand der Patienten legt und ich sozusagen sagen kann, das darf gespeichert werden und das darf nicht gespeichert werden, dann könnte ich natürlich aus welchen Gründen auch sagen möglichst wenig. Grundsatz der Datensparsamkeit. Aber es wäre ja vielleicht wichtig, wenn ich ins Krankenhaus komme, zu wissen, was ist an Voruntersuchungen gelaufen. Gibt es Allergien? Gibt es eine Patientenverfügung? Gibt es einen Organspendeausweis und all diese Dinge. Das beißt sich ja vielleicht so ein bisschen.
(Prof. Dr. Marco Waage) Das wäre wünschenswert. Aus meiner Sicht auch auf jeden Fall. Aber ich glaube, man kann die Menschen dazu nicht zwingen, weil dann haben wir wirklich das Problem, dass die Akzeptanz sinkt, dass Menschen versuchen diese ganzen Sachen zu manipulieren usw. sich auch nicht mehr wohlfühlen. Und eben genau diese Selbstbestimmung ist aus meiner Sicht dort das größere Argument, so dass wir dann auch eben langsame Schritte gehen müssen mit der Freiwilligkeit dort auch einen ersten Schritt gehen. Wenn der Nutzen, glaube ich in der Gesellschaft bekannter wird, wird sich da auch die Nutzungsrate erhöhen.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Aber ich finde es so spannend, weil die Leute, Smartwatch, für mich immer so ein klassisches Beispiel. Da bin ich also offensichtlicher bereit, Daten erheben zu lassen, verarbeiten zu lassen, ja auch ein Stück weit speichern zu lassen, wo viele sich ja gar keine Gedanken machen, wo eigentlich? Ähm, wenn es aber darum geht, dass meine Patientenverfügung, mein Organspendeausweis oder der letzte MRT-Befund auf meiner Karte gespeichert wird, da habe ich große Zweifel und große Bedenken. Woran könnte das liegen? Dass ich bei dem einen so freigiebig bin und bei dem anderen so vorsichtig?
(Prof. Dr. Marco Waage) Ich glaube, es ist eine ganz große Bewusstseinsfrage. Wir sind es so gewohnt, mit dem Handy zu arbeiten, dass es uns gar nicht mehr auffällt und dass wir eigentlich gar nicht mehr darüber nachdenken, dass wir Gesundheitsdaten weitergeben bei der Nutzung einer Smartwatch. Genauso wie wir überhaupt nicht darüber nachdenken, dass wir in dem Moment, wo wir in Instagram Urlaubsfotos posten, den Einbrechern Tür und Tor öffnen und ihnen zeigen, dass wir nicht zu Hause sind; wie wir, wenn wir Google nutzen, zum Navigieren Google mitteilen, wo wir uns gerade aufhalten.
All diese Dinge sind uns wir uns gar nicht mehr bewusst. Und das ist auch das Phänomen der Smartwatch aus meiner Sicht. Wenn jedes Mal eine Warnmeldung erscheinen würde beim Einschalten, ja gut, man schaltet es ja kaum noch aus, aber alle Stunde eine Warnmeldung bei einer Smartwatch auftauchen würde, ich glaube, dann würde die Nutzung sehr weiter eingeschränkt werden, wenn jedes Mal nach einer Stunde kommt: Sie haben jetzt Herzfrequenz, Atemfrequenz und Anzahl der Schritte an Ihre Krankenkasse übermittelt.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Das ist ja auch ein gutes Stichwort. Ich frage mich, wenn wir schon da relativ freigiebig sind, wenn ich so sehe, ich habe so Pubertiere zu Hause, das ist noch mal ein ganz anderes Thema. Also die wachsen ja oder sind ja aufgewachsen in ganz anderer Art und Weise. Ich kann gar nicht, darf gar nicht erzählen, dass ich. Ich glaube, ich war 18, als ich mein erstes Handy hatte. Das kann sich kein Mensch mehr vorstellen. Heute haben Kindergartenkinder, spätestens im Grundschulalter haben die ein Handy. Ohne das verteufeln zu wollen. Aber da ist ja noch mal ein ganz anderes Bewusstsein oder auch fehlendes Bewusstsein für die Problematik als bei Leuten, die vielleicht schon ein bisschen älter sind.
(Prof. Dr. Marco Waage) Definitiv. Das fängt mit Mobbinggeschichten an, mit irgendwelchen Internetfotos, die weiterverbreitet werden, usw., Screenshots, die gemacht werden. Das Bewusstsein ist nicht da. Das sehe ich auch so und das wird eine sehr spannende Entwicklung werden in der Zukunft. Welche Daten dann dort noch vorliegen werden und auch was das für Konsequenzen haben wird für Einzelne auch, Thema Bewerbungsgespräche usw. Welche Daten dürfen wie genutzt werden? Es ist eine ganz interessante Frage. Auf jeden Fall.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Nun hat ja die Pandemie zum Beispiel dieses Thema Videosprechstunde wahnsinnig befördert. Da haben wir ja vorher riesen Themen gehabt. Da ging es ja wirklich darum, dass so viele Mandanten auch von mir irgendwie das anbieten wollten. Das war wahnsinnig kompliziert. Dann kam Corona und plötzlich ging es. Weil es eben gehen musste, so. Die Leute sind ja heute auch, ja, erwarten vielleicht ein Stück weit, dass Praxen auch so online Terminvergaben anbieten. Da gibt es ja auch Anbieter, die das ermöglichen. Und da kann man ja inzwischen habe ich gesehen, auch direkt Befunde übermitteln. Das finde ich, ist auch– Also ich persönlich muss auch nirgendwo anrufen. Ich finde das auch komfortabel, das im Internet zu machen, allerdings für mich persönlich. Nun bin ich auch Jurist. Aber das Übermitteln von Befunden, damit von höchst sensiblen Daten, über so eine Plattform, wo ich zumindest als technischer Laie überhaupt nicht überblicken kann, wer dahintersteht, wo da was übertragen, wo der Server steht - da sind die Leute immer noch relativ entspannt, muss man sagen. Es wird viel genutzt. Die Frage ist aber trotzdem warum bin ich bei sowas relativ entspannt? Da schicke ich meinem Arzt das aktuelle Röntgenbild, was ich digital habe, den MRT-Befund, was auch immer. Geht es aber darum, dass meine Krankenkasse Daten haben soll oder der Leistungserbringer, weil die dauerhaft auf der Karte gespeichert sind, da sind die Leute dann doch wieder sehr vorsichtig und befindlich einfach.
(Prof. Dr. Marco Waage) Ja, ich sehe es auch als eine Bewusstseinsfrage. In dem Moment, wo mein Arzt mir sagt "Mensch, ich habe den Arztbericht vom Facharzt schon bekommen", mache ich mir keine Gedanken. Auf welchem Wege - war es eine ungesicherte E-Mail? War es eine gesicherte Verbindung? War es irgendein Programm? - ich freue mich einfach, dass das da ist. Ist eine Komfortfrage. Bei der Krankenkassenkarte werde ich mir bewusst, weil ich diese Karte physisch in der Hand habe, dass das dort eventuell ein Problem sein könnte. Also der Mensch ist da, ich will nicht sagen schizophren, aber hat ein Stück weit eine sehr selektive Wahrnehmung. Nennen wir es vielleicht mal so. Dass bei einigen Bereichen man, eben weil man Dinge nicht so konkret, nicht so unmittelbar sieht, Dinge einfach hinnimmt, sich den Komfort gut mitnimmt. Aber bei Dingen, die dann vielleicht auch in der Presse eben anders gehighlightet werden, dass dann wieder ein sehr viel größeres Bewusstsein da ist und dann auch eine sehr viel kritischere Haltung.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, vielleicht ist es tatsächlich eine Komfortfrage, die diese Irrationalität ein Stück weit erklärt. Ja, ja, könnte gut sein. Nun sind wir ja, wenn man das so mit anderen Ländern vergleicht, in Deutschland vergleichsweise schlecht aufgestellt. Also bei uns sind ja die Themen Patientenautonomie, Patientensouveränität, das ganze Thema Datenschutz, die sind ja sehr, sehr im Fokus, sag ich mal. Aber insgesamt, das hat ja auch die Pandemie gezeigt, wo man am Wochenende keine Infektionsdaten übermitteln kann, weil keiner das Faxgerät bedient im Gesundheitsamt. Das war ja doch schon, glaube ich, für viele auch ein kleiner Schock, dass wir in unserem vermeintlich hochtechnisierten Land mit Faxgeräten da irgendwelche Zahlen manuell übermitteln. Kann man das so ein bisschen erklären, wenn man das mit anderen Ländern vergleicht, warum wir da eigentlich so schlecht aufgestellt sind?
(Prof. Dr. Marco Waage) Ich weiß im Moment nicht, wie schlecht wir wirklich aufgestellt sind. Also ich will das nicht gut reden, auf keinen Fall, in Deutschland. Wenn man uns mit Skandinavien vergleicht, sind wir sicherlich nicht gut aufgestellt, aber mit vielen anderen europäischen Ländern, glaube ich, sind wir insgesamt im Mittelfeld, würde ich sagen. Was ich aus anderen Bereichen der Wirtschaftsinformatik bei der Digitalisierung wahrnehme, ist, dass es in Deutschland nicht so eine große Gründermentalität gibt, dass daher auch so was wie Start-Up-Unternehmen und so nicht in der Dichte vorhanden sind wie in anderen Ländern, wie in den USA.
Das hat jetzt nicht unmittelbar mit deiner Frage zu tun. Was jetzt die Gesundheitsämter angeht. Vielleicht ist es unser Drang zum Perfektionismus, ich weiß es nicht, in Deutschland. Da gibt es leider sehr wenige Untersuchungen dazu, weil wir dort, dort nehme ich es so wahr, dass wir eben die große Lösung wollen, dass seit Jahrzehnten oder seit Jahren, Jahrzehnten noch nicht ganz daran gearbeitet wird, an der Digitalisierung der Behörden insgesamt. Dass man dort aber eine Riesenlösung sucht, es dafür aber viel zu langsam vorangeht und jetzt eben noch die plakativen Faxgeräte in den Gesundheitsämtern noch vorhanden sind. Das merkt man auf jeden Fall.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ich habe immer so das Gefühl, wo der Staat Digitalisierung möchte, setzt er sie ja gnadenlos durch. Also Steuerverwaltung zum Beispiel. Elster wird einem aufgedrückt, kann man überhaupt nichts gegen tun. So, und wo es dann vielleicht nicht so im Fokus steht, da ist man dann auch nicht so, nicht so agil, nicht so dynamisch. Sagen wir es mal so.
(Prof. Dr. Marco Waage) Das ist sicherlich auch noch ein Argument. Ja, das denke ich auch. Also Elster ist ein gutes Beispiel. Da ist eine Digitalisierung denke ich auch sehr schnell vorangetrieben worden, weil es auch um die Einnahmenseite geht. Vom Staat, gar keine Frage. Im Gesundheitswesen sind, glaube ich, da aber auch die Widerstände in der Bevölkerung noch größer. Ich denke, wenn da jetzt eine Digitalisierung eben, du siehst es an der Gesundheitsakte usw., vorangetrieben wird, dann wird da auch sehr viel genauer hingeguckt. Bei Elster gab es komischerweise kaum irgendwelche Widersprüche und kaum irgendwelche Gegenstimmen. Jetzt bei der Grundsteuer, dort merkt man es als erstes aus meiner Sicht, dass da wirklich geschaut wird "Mensch, wir haben eine Gesellschaft, die gar nicht mitkommt bei der Digitalisierung, bei der Geschwindigkeit." Jetzt muss bei der Grundsteuer, es muss auch der plakative Rentner, der vielleicht nicht so digital affin ist, mit dem Elsterformular umgehen, bekommt noch nicht mal eine Info, dass er es muss. Und dort wird jetzt erwartet, dass dort mit Digitalisierung gearbeitet wird.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Also super Beispiel. Ich habe für meinen Vater tatsächlich, der lebt in Bayern, ganz viele Formulare ausgedruckt, weil er gesagt hat, er möchte das nicht online machen. Man kann das da dann eben auch handschriftlich tun. Der einfach ganz klar sagt, er möchte das nicht so, das ist ihm suspekt und ich finde, das muss auch nicht sein. Er ist 80 und ich finde, man muss dann auch nicht unbedingt gezwungen werden. Aber ich wollte noch ein Beispiel aus der anwaltlichen Praxis geben. Wir haben ein BEA. BEA steht für "Besonderes Elektronisches Anwaltspostfach", eine wunderbare Abkürzung. Vollkatastrophe beim Start, musste wieder deinstalliert werden. Jetzt läuft es. Und was für mich so spannend ist: Wir haben eine aktive Nutzungspflicht. Das heißt, ich darf nichts mehr per Post schicken, ich darf auch nichts mehr faxen. Wenn ich das tue, ist es unwirksam. Der Gerichts– also der Mensch in der Geschäftsstelle, bei Gericht, der Richter, der Geschäftsstellenmitarbeiter, der darf sowohl faxen als auch per Post schicken. Das heißt, ich war tatsächlich heute Morgen kurz bei mir im Büro gewesen und da war diverse Gerichtspost, wirklich noch Post. Das heißt, das ist für mich so schizophren. Ich muss es nutzen, aber der Staat, um jetzt mal dieses Plakative zu nehmen, der darf, wenn es ihm in den Kram passt, und wenn nicht, dann ist auch nicht so schlimm. Und das, glaube ich, ist etwas, was eben die Akzeptanz einfach nicht fördert.
(Prof. Dr. Marco Waage) Das sehe ich genauso. Die Akzeptanz nicht fördert und auch zeigt, aus meiner Sicht, auf der anderen Seite auch die Nähe der Interessengruppen letztendlich zur Gesetzgebung. Wer da die stärkeren Lobbyverbände hat, um dort Interessen durchzusetzen und wer nicht, auch noch eine ganz interessante Situation–
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, da können wir eine eigene Podcastfolge–
(Prof. Dr. Marco Waage) Genau, das wollte ich gerade sagen.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Weil Lobby, das ist ja gerade im Gesundheitswesen finde ich auch ein wahnsinnig spannendes Thema. Wer wem was wie wo in die Gesetzesbegründung schreibt und auch vielleicht auch den Gesetzestext irgendwie umformatiert und so, also.
(Prof. Dr. Marco Waage) Das wäre die dritte Podcastfolge.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Aber was ich auch so spannend finde, als wir am Anfang der Corona Pandemie, als dann irgendwie ja auch digitale Lösungen gesucht wurden, als man irgendwie, als es um Nachverfolgung ging, Luka App beispielsweise, oder auch dieses ganze Thema der digitalen Impfzertifikate, das ging ja, finde ich, für Deutschland verhältnismäßig schnell, also verhältnismäßig schnell, hätte bestimmt auch schneller gehen können. Aber wir sind ja bescheiden geworden. Trotzdem, wenn ich so sehe, wir haben ja ein Riesenproblem im Gesundheitswesen. Also, um einfach nur mal so, Stichwort ländliche Versorgung. Also, du bist irgendwo, nicht in Hamburg, nicht in München, nicht in Berlin, sondern lebst irgendwo auf dem platten Land. Da haben wir einen riesen Hausarztmangel. Da haben wir einen Facharztmangel, die kleinen Krankenhäuser werden geschlossen und da, Stichwort Telemedizin, da ist es doch einfach so: Es ist doch toll, wenn eine Stroke Unit weit weg ist und ich mit meinem Schlaganfall nicht sofort versorgt werde, dass eben Daten übertragen werden. An einen Neurologen, der jetzt was beurteilen kann, an einen Kardiologen, der gucken kann, ist das ein Herzinfarkt oder keiner. Das heißt, da liegen für mich ja so ein bisschen die Vorteile auch für den Patienten auf der Hand. Also spätestens, wenn ich in akuter Lebensgefahr bin, wäre für mich persönlich das Thema Datenschutz zweitrangig, sage ich mal ganz ehrlich. Das mag man in anderen Bereichen anders beurteilen. Aber da wäre es doch so! Und trotzdem hat man auch da das Gefühl, so richtig voran kommt es auch nicht.
(Prof. Dr. Marco Waage) Ich glaube, da sind wir wieder bei der Finanzierungsfrage. Diese Telemedizin usw. wäre eine Leistung, die die Krankenkassen finanzieren müssten. Also indirekt finanzieren müssten, weil es letztendlich auf die Kosten der Ärzte auch geht. Wenn ich sehe, wie da die Leistungen ohnehin schon gestrichen werden. Aktuell ist das ein Thema, wo ich mich auch manchmal frage, wie da die Lobbyverbände im Hintergrund sind, was finanziert wird, was nicht finanziert wird. Beispiel Gesundheitsapps wieder. Wie lange hat es gedauert hat, bis diese Gesundheitsapps jetzt endlich übernommen werden. Die wunderbar helfen und die technisch gesehen schon vor fünf Jahren möglich gewesen wären. Da müssen Gesetze geschaffen werden, das dauert. Das muss auch dauern. Das ist ein demokratischer Prozess. Aber ich glaube, auch die Finanzierungsfrage ist da nicht ganz unentscheidend.
Bei der Telemedizin genauso. Es sind sehr teure Geräte. Was da noch eine Rolle spielt, ist die Verfügung oder die Verfügbarkeit von Internet auf dem Land. Da muss man auch immer schauen, wo könnte man diese Gesundheitszentren überhaupt installieren. In Zeiten von LTE, und LTE ist auch in den Städten verfügbar. Aber die Glasfaserversorgung wird besser im Lande. Aber auch da muss man schauen, was geht da, wie macht man es? Die Frage der Weiterbildung von Ärzten ist, glaube ich, noch ein Thema. Es müssen auch Ärzte diese Medizin bedienen können, diese Geräte bedienen können. Auch das ist nicht ganz ohne. Du hast den Fachkräftemangel angesprochen. Das hieße also auch, dass auch in anderen Bereichen, auch in städtischen Bereichen, auch entsprechende Ärzte verfügbar sein müssten, um eben auch dann diese Telemedizin zu bedienen.
Ich glaube, das sind alles so Argumente, die das aktuell noch sehr ausbremsen, obwohl es eigentlich eine sehr gute und sinnvolle Entwicklung wäre.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ausbremsen. Das ist, finde ich, ein gutes Stichwort. Was sind denn eigentlich so die Bremsen aus deiner Sicht? Ist es wirklich– also sicherlich Datenschutz, haben wir schon so ein bisschen identifiziert, glaube ich. Was ist es noch? Finanzierung?
(Prof. Dr. Marco Waage) Finanzierung ist es aus meiner Sicht. Fachkräftemangel spielt eine sehr, sehr große Rolle, sowohl auf der IT-Seite als auch auf der medizinischen Seite. Das ist ein ganz, ganz großes Thema. Der Datenschutz. Wie gesagt, ich glaube, das ist eine Frage der Kommunikation. Aber die Finanzierung definitiv, der Krankenkassen vor allem auch, und da auch eine Bewusstseinsstärkung. Und wir merken aus meiner Sicht auch, dass in der Bevölkerung dort auch so eine Art Zweiteilung da ist. Also wirklich diejenigen, die die Digitalisierung befürworten und diejenigen, die sich da noch sehr schwertun und auch dagegen sind, sodass man da auch, wie soll ich sagen, einfach noch keinen Konsens hat und dort auch einfach noch Überzeugungsarbeit leisten muss. Aus meiner Sicht auch nicht ganz ohne, aber vor allem aus meiner Sicht der Fachkräftemangel und der Datenschutz, das würde ich schon sagen, sind die größeren Bremsen in dem Moment.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Also was ich ganz spannend finde, ist, dass ich das Gefühl habe, das läuft irgendwie so komplett auseinander. Du hast von Zweiteilung gesprochen. Es gibt ja schon irgendwie Hochschulen, die bieten Digital Health Management an und sind damit ja schon, glaube ich, relativ weit vorne, was auch die zukünftige Entwicklung betrifft. Dann haben wir irgendwie künstliche KI, die irgendwie anfängt, so radiologische Dinge auszuwerten und in der Befundung durchaus gut ist, vergleichbar ist, vielleicht in Teilen sogar besser ist als mit erfahrenen Radiologen. Das hat man ja in der Brustkrebsdiagnostik irgendwie ausprobiert. Das heißt, da tut sich wahnsinnig viel im Bereich der Diabetesüberwachung von Blutzucker durch moderne Technik. Da gibt es wahnsinnig viel. Man sieht, finde ich, jetzt auch im Sommer immer mehr Menschen mit kurzärmeligen T-Shirts und dann genau mit entsprechenden Geräten. Ich weiß das zum Beispiel auch von Leuten, die betroffen sind, die sagen das ist eine super Erleichterung. Du hast diese Werte permanent, du kannst sie übermitteln, der Arzt kann sich die angucken, es gibt viel mehr Sicherheit, auch Lebensqualität im Alltag. Gleichwohl gibt es eben auch Leute, die das einfach ablehnen und sagen "Das macht mir Angst" und dass vielleicht auch wirklich diese Angst was Emotionales ist, wo man einfach sagt "Ich verstehe gar nicht so richtig, was da passiert." Versteht man ja auch wirklich nicht, wenn man nicht gerade aus dem technischen Bereich kommt und vielleicht ist man deswegen einfach auch ängstlich.
Und deswegen ist, finde ich dein Stichwort mit der Kommunikation so wichtig. Nun haben wir ja bei der Impfung gemerkt, dass wir in Deutschland nicht gut kommunizieren können. Egal wie man zur Impfung steht, das Fass wollen wir hier auch gar nicht aufmachen. Aber es ist ja offensichtlich so gewesen, dass unsere europäischen Nachbarländer die Leute besser erreicht haben. Das kann man, glaube ich, wertfrei so sagen. Und ich frage mich so ein bisschen, wie eine gute Kommunikation aussehen kann, ohne Leute zu überreden, in Anführungsstrichen, aber so weit aufzuklären und so weit mitzunehmen, dass sie ruhigen Gewissens da auch mitgehen können.
(Prof. Dr. Marco Waage) Ja, das ist eine ganz große Herausforderung. Das denke ich auch. Weil wir eben auch diese absurde Situation haben, dass alle Menschen Digitalisierung nutzen, digitale Technologien nutzen. Man könnte also von außen betrachtet durchaus die These aufstellen "Wieso? Wir kennen es doch alle, wir kennen uns doch alle damit aus." Aber nur die wenigsten Menschen kennen die Funktionsweise, kennen die technischen Hintergründe und dort eine gute und zielgerichtete Kommunikation aufzusetzen, die eben auf dem Wissen aufsetzt, aber genau auch diese Lücken im technischen Sachverstand dann auch schließt, ich glaube, das wäre eine sehr wichtige Sache, um zu sagen "Ja, du hast dein Handy, du benutzt das alles. Und jetzt den Diabetes, den Blutzuckerspiegel, ständig zu messen mit dem Handy bedeutet das und das" und dann auch eine Transparenz zu schaffen. Da sind wir schnell beim Thema Allgemeine Geschäftsbedingungen, die ich ja überall dann im Internet schnell mal die 20 Seiten im Scrollverfahren lese und dann auf "alles annehmen" klicke.
Warum kann man das nicht vereinfachen? Das wäre auch für so eine Diabetesapp sicherlich, nur mal als Beispiel, eine sehr gute Sache. Ganz klipp und klar zu sagen: Dieses Datum wird übermittelt, das Datum wird übermittelt, das Datum wird übermittelt, aber nicht mehr und nicht weniger. Ähnlich wie beim Handy, wenn ich eine neue App installiere. Wenn genau gesagt wird, diese App benötigt Zugriff auf die Kamera. Diese App benötigt Zugriff aufs Mikrofon und das ist es aber auch.
Und wenn ich dann aber irgendwo eine Wetterapp habe, die plötzlich Zugriff auf mein Dateisystem und auf meine Cam haben will, dann kann ich mir eventuell auch denken, dass da irgendwas nicht ganz mit rechten Dingen zugeht. Ob ich dann trotzdem annehme, ist eine andere Frage. Aber immerhin besser als 20 Seiten AGBs, die ich zu lesen habe, wo dann irgendwo in Schriftgröße sieben auf Seite 25 steht sie greifen auch auf unsere Kamera zu.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Also Allgemeine Geschäftsbedingungen unterschreibe ich oder klicke ich auch immer an, weil ich immer denke, wenn es dann hart auf hart kommt, streite ich mich dann. Also man kann sie eh nicht ablehnen, also kann man sie auch annehmen, muss sie auch nicht lesen und dann streiten wir, wenn es soweit ist. Ist sowieso immer eine gute Strategie. Ja, aber ich habe so das Gefühl, dass wir tatsächlich da eine große Diskrepanz haben. Und das fängt für mich auch bei den Begrifflichkeiten an, also wir verwenden so Begrifflichkeiten ganz selbstverständlich, ohne genau zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Also so Schlagworte: Künstliche Intelligenz, Digitalisierung, Big Data, Smart Hospital. Das wird so auch in der Presse finde ich, viel verwendet, ohne eigentlich sauber zu definieren: Was ist das eigentlich? Also um auch einfach mal abzugrenzen, was es vielleicht nicht ist. Und ich glaube, da ist auch noch ganz, ganz viel Nachholbedarf.
(Prof. Dr. Marco Waage) Das sehe ich genauso. Das ist noch ein großes Thema. Weil du dadurch auch Angst schürst. Gerade das Thema künstliche Intelligenz, was du angesprochen hast, ist ein ganz, ganz großes Thema, wo die Angst geschürt wird. Wo es auch noch große Probleme gibt, wenn ich an den Bias denke, an die Schräglage usw. in Daten und an alle möglichen Details– ich will jetzt auch nicht zu weit ins Detail gehen, aber alle möglichen Probleme, die ich dabei habe. Aber diese Technologie dann eben konkret oder komplett abzulehnen, nur weil in den Medien von irgendwelchen Problemfällen berichtet wird, ist ein großes Thema. Und da weiter nochmal ins Detail gehen, da ein weiteres Wissen aufzubauen, eine weitere Aufklärung zu betreiben in der Bevölkerung finde ich sehr, sehr wichtig.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Wenn wir jetzt mal gucken, was hat die Pandemie uns denn so im Hinblick auf die Digitalisierung tatsächlich im Gesundheitswesen gebracht? Also was haben wir jetzt, was wir vorher noch nicht hatten und vielleicht auch ohne Pandemie nie bekommen hätten? Hast du da ein paar Beispiele?
(Prof. Dr. Marco Waage) Das ist erschrecken wenig, muss ich sagen. Also es gibt so etwas wie den digitalen Impfausweis, wo jetzt eben viele sich auch mit abgefunden haben. Da würde ich sagen, der hat sich relativ gut durchgesetzt. Also in meiner Bubble, muss man heutzutage sagen, hat er sich durchgesetzt. Keine Ahnung, wie es in anderen Bevölkerungsgruppen aussieht, all sowas. Die Terminfindung bei Ärzten nehme ich genau so wahr wie du. Das setzt sich durch. Ob das nun Pandemie bedingt ist oder ob da einfach ein paar findige Start-Up-Unternehmen auf den Markt gekommen sind, die das jetzt gerade zu einem günstigen Preis anbieten, weiß ich nicht. Die Telemedizin hat, glaube ich, kaum gewonnen. Wir tun uns noch immer schwer, dass Ärzte nach telefonischer Konsultation Krankschreibungen ausstellen dürfen. Es sind immer wieder weiter nur Übergangsbestimmungen, die dort gegeben werden, wenn ich auf dem neuesten Stand bin. All das würde ich eher kritisch betrachten. Da gibt es vielleicht noch einige Apps. Die künstliche Intelligenz hat sich nicht durchgesetzt. Ich hoffe das immerhin, was diese Geschichte Faxgeräte in Gesundheitsämtern angeht, dass das immerhin jetzt zu einem Aufrütteln bewirkt hat. Also aktuell gab es da glaube ich noch keine technischen Neuerungen, aber dass da zumindest das Bewusstsein gestärkt wurde, um da jetzt wirklich in Zukunft auch mehr zu machen, das wäre meine Hoffnung.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Also, wenn ich das so aus der anwaltlichen Perspektive sehe, dann gibt es natürlich auch einfach Ärzte, die haben noch eine Karteikarte und das will ich jetzt überhaupt nicht bewerten, um Gottes willen. Also die dokumentieren auf Papier und die sind vielleicht, sag ich mal, am Ende ihres Berufslebens angekommen, die haben vielleicht noch fünf Jahre oder vielleicht auch noch zehn und sagen, ich will mich vielleicht auch gar nicht mehr unbedingt umstellen. Und ich will auch gar nicht, dass die Leute online Termine machen können. Das finde ich gar nicht so zwingend. Die sollen bitte anrufen und dann können meine Damen und Herren vorne genau entscheiden wie viel Zeit brauche ich dafür oder auch nicht. Also ich glaube, das ist auch aufseiten der Leistungserbringer durchaus etwas, was schwierig ist. Also es sind nicht nur die Patienten, es sind tatsächlich auch die Leistungserbringer, die sich mit manchen Sachen ein bisschen schwertun.
Und das sind auch, muss man auch sagen, wenn neue Praxen sich gründen oder Praxen übernommen werden, dann sehen wir eben auch in den Verträgen, was da für ein Riesenetat mittlerweile für die technische Ausstattung– Und da rede ich jetzt nicht von radiologischen Praxen, wo das natürlich relativ selbsterklärend ist, sondern auch von Einzel- und Doppelpraxen, die einfach für ihre technische Infrastruktur.
(Prof. Dr. Marco Waage) Ja, ich glaube, das ist ein Thema. Da wird es hoffentlich auch - also man sieht es an der Terminvergabe, an der Terminvergabe-Software - wird es hoffentlich auch noch mehr Dienstleister geben, die den Ärzten da vieles abnehmen. Weil man muss auch sagen, es ist nicht die Kernkompetenz eines Arztes, sich über Datenschutz und sichere Übertragungswege Gedanken zu machen. Bin ich gespannt, was da noch outgesourced wird in dem Sinne.
Ein Thema noch, was du eben sagtest, was die Digitalisierung in Arztpraxen selbst angeht. Man darf dort auch nicht vergessen, dass die Entscheider in einer Arztpraxis andere sind als die Menschen, die sehr viel profitieren von dieser Digitalisierung. Du hast Ärzte, denen kann es relativ egal sein, wenn das Telefon vorne in der Anmeldung nicht mehr stillsteht. Die sind da und behandeln. Dass das auch ein Stressfaktor bei Mitarbeiter*innen macht und ein Stressfaktor ist, wenn ständig das Telefon klingelt, wenn sich die Patienten beschweren, dass niemand rangeht usw. Da bekommen die Entscheider, die über die Installation einer neuen Software entscheiden, erst einmal nichts mit. Und auch das darf man, glaube ich, nicht vernachlässigen als Grund. Wenn die Ärzte wüssten, wie das vorne in der Anmeldung wirklich teilweise abgeht und wie chaotisch es ist, wie lange Patienten warten, um überhaupt erstmal aufgenommen zu werden, dann würde es vielleicht sogar ganz anders aussehen.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, ist bestimmt ein guter Gedanke, dass man auch da einfach mal gucken muss, wer entscheidet, wer profitiert, aber sicherlich auch am Ende, wer bezahlt?
(Prof. Dr. Marco Waage) Natürlich, Da sind wir wieder bei den Krankenkassen. Letztendlich muss die Krankenkasse bezahlen. Wir wollen alle nicht für eine Terminvergabe, die schneller geht, irgendwie 10 € extra zahlen. Wäre glaube ich in unserem Staat auch nicht legitim. Aus meiner persönlichen Sicht aber.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, ich würde auch mal ein anderes Fass aufmachen wollen. Und zwar, wenn wir mal ein Stück weit weggehen von der Digitalisierung. Aber nur von der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Wenn man so an das Stichwort autonomes Autofahren denkt. Ohne das jetzt groß zu thematisieren. Ich will nur mal einen Gedanken reingeben, den ich ganz wichtig finde und der mir persönlich in der Diskussion immer zu kurz kommt. Das Ganze hat ja auch eine ethische Komponente und wir gucken immer sehr stark sozusagen auf das Technische, auf das Juristische. Aber es hat ja tatsächlich auch eine ethische Komponente und die wird mir persönlich immer zu wenig beleuchtet. Wie siehst du das?
(Prof. Dr. Marco Waage) Genauso. Also die ethische Komponente ist aktuell überhaupt nicht irgendwo in der Presse. Vielleicht auch, weil das Thema sehr abstrakt natürlich ist, sonst wäre es keine Ethik. Lässt sich sehr schwer erklären, egal bei welchem Thema. Schau dir eben das Thema Sterbehilfe an, schau dir das Thema Abtreibung an usw. Dort geht es immer mehr um die praktischen Dinge, um konkrete Fälle. Aber die wirklich ethischen Hintergründe werden auch da sehr wenig beleuchtet. Müsste man im Rahmen der Digitalisierung oder beim autonomen Fahren genauso sehr auch betrachten. Ja, definitiv.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ich habe das Gefühl, durch Corona ist ja unser Deutscher Ethikrat ein bisschen mehr in den Fokus gekommen. Ein bisschen. Doch ich finde schon ein bisschen mehr. Gerade am Anfang haben Sie sich ja auch positioniert zur Frage Privilegien für Geimpfte gegenüber ungeimpften Menschen und so, die haben da auch verschiedene Ad-hoc-Empfehlungen rausgegeben. Aber so das große Ganze fehlt mir tatsächlich. Überhaupt fehlt mir total in diesem Bereich ein Zusammenwirken unterschiedlicher Disziplinen. Ich finde, es gibt so, so Inselmeinungen, die sind bestimmt fundiert, bestimmt auch richtig. Aber Probleme und Herausforderungen sind ja eigentlich viel zu komplex, um sie aus einer Fachrichtung zu beleuchten.
(Prof. Dr. Marco Waage) Definitiv. Und das ist gar nicht nur eine Frage der Ethik, sondern auch eine Frage der generellen fachübergreifenden Betrachtung. Das war ja auch immer die Diskussion um den - jetzt sind wir hier im Podcast - um den Drosten-Podcast. Soll man jetzt der Meinung eines Virologen komplett folgen, wenn er sagt wir müssen in den Lockdown gehen, wo es sicherlich noch sehr viele andere Interessenten und Interessen zu berücksichtigen gibt als nur die Meinung eines Virologen. Und wie müssen wir welche Sichtweise dann eben bewerten an der Stelle? Das ist auch wieder ein typisches Beispiel, wo die Interdisziplinarität komplett fehlt aus meiner Sicht.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, und ich glaube, da müssen wir einfach in vielen Bereichen sehr viel mehr auch das Zusammenwirken stärken, dass man also wirklich sich dessen bewusst ist. Insofern ist es mit der virologischen Fragestellung bestimmt ein sehr gutes Beispiel, dass es eben durchaus aus virologischer Sicht nur einen denkbaren Weg geben kann, weil es eben auch richtig und wichtig ist, das virologisch zu betrachten. Aber eben, wenn man zum Beispiel Kinderärzte und Kinderpsychiater fragt, vielleicht ja Pädagogen mit einbezieht, zu einem ganz anderen [Weg] kommt. Und am Ende des Tages ist es dann eben eine Abwägungsentscheidung. Was hat bei mir Priorität und wessen Interessen muss ich, wenn man sich so eine Waagschale vorstellt, wo reinlegen und zu welchem Ergebnis komme ich dann? Und das darf ja auch gerne kontrovers diskutiert werden. Muss es vielleicht auch.
(Prof. Dr. Marco Waage) Das ist Demokratie. So etwas kontrovers zu bewegen und dann aber auch in der Politik letztendlich zu entscheiden. Oder eben in der Regierung, im Parlament, wo auch immer die jeweilige Entscheidung hingehört. Ganz genau.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Was glaubst du denn, und dann kommen wir auch so ganz langsam zum Ende, zehn Jahre später, also so, wenn wir in die Zukunft blicken, ist immer schwierig, ich weiß.
(Prof. Dr. Marco Waage) Zehn Jahre sind lang in der Digitalisierung.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Deswegen habe ich extra zehn Jahre genommen und nicht fünf. Was glaubst du denn? Was haben wir denn vielleicht in zehn Jahren, was wir jetzt vielleicht noch gar nicht vermissen?
(Prof. Dr. Marco Waage) Ich glaube tatsächlich, dass die Telemedizin da weiter sein wird in dem Bereich und dass wir dort wirklich dann große Fortschritte gemacht haben. Gleiches gilt für die künstliche Intelligenz. Du hattest eben die Diagnostik von Brustkrebs usw. angesprochen. Da werden wir schon weiter sein. Wir werden, glaube ich, auch eine elektronische Gesundheitsakte haben, da also auch eine, die sich durchgesetzt hat mit der elektronischen Medizin. Ich hoffe nicht, dass ich für jedes Rezept, was ich einmal im Quartal bekomme, immer zum Arzt gehen muss, es mir ausdrucken lassen, denn vorher anrufen muss, wo ich nicht durchkomme, es mir ausdrucken lassen muss, abrufen, abholen und in eine andere Apotheke oder Physiotherapiepraxis geben muss. Ich glaube, das wird dann auch passé sein, glücklicherweise.
Ansonsten ist es da ganz, ganz schwer, eine Prognose zu treffen, weil die Entwicklung so schnell vorangeht und wir da in bestimmten Dingen das noch nicht absehen können. Augmented Reality wird noch ein großes Thema sein, glaube ich. Augmented Reality, Virtual Reality. Dass wir also IT gestützte Operationen durchführen werden, wo eben zusätzliche Informationen in einer Brille angezeigt werden. Also das ganze Thema wir arbeiten mit einem Bildschirm, an einem Bildschirm, glaube ich, wird weniger werden. Und dann eben gerade im medizinischen Bereich, wo ich beide Hände frei haben muss, wo ich in einem sterilen Raum oft arbeite, würden da diese Brillen, glaube ich, auch noch einen sehr großen Vorteil bieten.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, ich kann mich erinnern, als die erste OP mit Robodoc durchgeführt wurde oder mit Da Vinci. So die ersten Operationsroboter, da gab es ja Klageverfahren ohne Ende. Da ging es ja dann wieder um die Frage der Aufklärung. Inzwischen hat sich das etabliert. Es ist halt auch immer eine Frage der Zeit.
(Prof. Dr. Marco Waage) Da hat es sich etabliert und das wird aber ja, was ich so mitbekomme, ist das noch eher bei sehr schwierigen Operationen der Standard. Ich glaube aber schon, dass sich das auch bei leichteren Operationen noch mehr durchsetzen wird, gar nicht nur über die Ferne - da sind wir wieder beim Thema Telemedizin letztendlich - sondern auch vielmehr zur Unterstützung, dass man eben Berichte, alte Befunde eingeblendet bekommt in die Brille und eben die elektronische Patientenakte komplett verfügbar hat, ohne vom Operationsfeld aufsehen zu müssen, ohne jetzt irgendwo an einen Bildschirm gehen zu müssen.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, Insofern sind wir mal ganz gespannt, was uns da die Zukunft bringt. Wir werden es hoffentlich live erleben, was uns unsere jeweiligen Krankenkassen so anbieten. Also ich bin seit ich glaube ja 35 Jahren privat krankenversichert, habe mit meiner Krankenkasse nie was zu tun, weil ich so eine hohe Selbstbeteiligung habe, dass ich mir alles selber zahle und bekomme aber regelmäßig irgendwie Post ins Haus. Finde ich auch großartig. Also wirklich noch Briefe, wo dann drinsteht was es jetzt digital gibt.
(Prof. Dr. Marco Waage) Optimal, ja. (lacht)
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja großartig. Ich habe ihnen auch schon mal geschrieben, ich fände es auch nicht so schön, dass sie immer noch Zeitungen verschicken, also so Zeitschriften. Es wären ja ausschließlich meine Gelder. So, also da wäre glaube ich, noch ganz viel zu tun.
(Prof. Dr. Marco Waage) Ich schreibe Emails und bekomme Briefe als Antwort.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja und dann wird es immer begründet mit dem Datenschutz. Finde ich großartig, aber gut. Ja, großes, großes Thema.
(Prof. Dr. Marco Waage) Auch da können wir wieder den nächsten Podcast machen. Datenschutz in Emails, weil die Emails das ungeschützteste Kommunikationsmedium überhaupt sind.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ich hatte gedacht WhatsApp.
(Prof. Dr. Marco Waage) Okay, gerade noch geschlagen, aber die Emails sind nicht mal end-to-end verschlüsselt und wir kommunizieren über Emails mit Ärzten, mit Krankenversicherung usw. und regen uns dann über irgendwelche Apps auf.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, aber da kann ich zum Beispiel sagen, wir haben versucht schon vor 15 Jahren entsprechende verschlüsselte Emails anzubieten, unseren Mandanten. Wurde nie in Anspruch genommen, obwohl es ja öffentliche Schlüssel gibt. Das ist ja eigentlich gar kein Problem.
(Prof. Dr. Marco Waage) Ich besitze auch irgendwo ein De-Mail Postfach von irgendwem, was ich nie genutzt habe.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Also ich glaube, das ist ein schönes Schlusswort. Also auch da wieder die Frage, wie das so mit der selektiven Wahrnehmung ist. Ja, dann würde ich das so ein bisschen mal zusammenfassen. Du grätschst gerne rein, wenn ich irgendwas falsch verstehe. Wir haben begonnen mit der Fragestellung Mehr Chance oder mehr Risiko und du hast optimistisch gestartet und hast gesagt aus deiner Sicht mehr Chance als Risiko. Gibt es dem noch was hinzuzufügen?
(Prof. Dr. Marco Waage) Nein, das ist wirklich so! Ich sehe natürlich auch die Risiken. Ich möchte nicht als blauäugig hier jetzt dastehen. Die Risiken sehe ich auf jeden Fall. Aber ich glaube, es wird da vorangehen. Das hat die letzte Zeit gepasst und die letzten Jahre haben das auch gezeigt, dass es dort immer weitergeht und dass sich dort auch eine durchaus positive Entwicklung ergeben hat, trotz aller Probleme, die wir jetzt noch haben.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, das ist doch ein wunderbares Schlusswort. Schöner kann man es nicht zusammenfassen. Dann war das unsere erste Folge. Wir haben uns beschäftigt mit den Herausforderungen im Gesundheitswesen, hier konkret mit der Digitalisierung. Weitere Herausforderungen haben wir ausgemacht. Es wird weitere Gesprächspartner geben, Wenn Sie oder ihr auch Herausforderungen habt, die gerne besprochen werden sollen, dann einfach gerne melden, am besten per E-Mail.
Mein Name ist Birgit Schroeder. Ich freue mich auf Feedback. Wir freuen uns auf Feedback. Und heute ganz herzlichen Dank an Marco Waage, der uns ein bisschen technischen Einblick in die Fragen der Digitalisierung gegeben hat. Vielen Dank.
(Prof. Dr. Marco Waage) Sehr gerne. Hat Spaß gemacht.