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Transkript Digitalisierung – Status quo, Potenzial, Risiken

(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja. Herzlich willkommen zu einer neuen Folge in der Reihe, wo wir über aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen im Gesundheitswesen sprechen. Und auch heute freue ich mich auf einen neuen Gesprächspartner. Auch hier wieder wichtig zu erwähnen: Wir nehmen diese Folge remote auf, das heißt, wir sitzen nicht gleichzeitig im Raum und uns gegenüber, sondern verweilen doch mit einer gewissen räumlichen Entfernung. Wenn dadurch die Qualität ein bisschen schlechter ist, bitten wir, das vorab zu entschuldigen. Und dann würde ich meinen Gesprächspartner heute bitten, sich vielleicht einfach selber vorzustellen.
(Dr Achim Hein) Ja, vielen Dank, Frau Dr. Schröder, für die Einladung. Mein Name ist Hain. Dr. Achim Hain. Ich selber bin Ingenieur und habe Elektrotechnik, Physik und Philosophie studiert, war dann eine Zeit lang Dozent an der Uni Siegen, bin heute auch noch Dozent in in Krems an der Fachhochschule für Digitalisierung im Therapiebereich. Später war ich dann eine Zeit lang bei der Firma Siemens und habe dann 1999 das erfunden, was man heute gerne Teletherapie nennt und die ganze Sache so weiterentwickelt, dass dieses Konzept heute sozusagen Kernangebot zur Therapieversorgung in der Deutschen Rentenversicherung ist. Und gerade auf dem Sprung ist, das auch im SGB 5, sprich der Krankenkasse, sozusagen zu etablieren.
(Speaker 3) Und da sind Sie natürlich unser idealer Gesprächspartner, wenn es um Fragen von Digitalisierung im Gesundheitswesen geht. Insofern freue ich mich sehr, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns da so einen klitzekleinen Einblick zu geben. Und Sie haben es schon angesprochen: Wir wollen uns unterhalten heute über Digitalisierung, wollen so ein bisschen auf Chancen und Risiken blicken, auch vielleicht so ein kleines bisschen auf den Status quo schauen und uns vielleicht auch die ein oder anderen Gedanken machen. Wohin könnte das Ganze denn gehen? Und vielleicht starten wir an der Stelle einmal damit: Was haben Sie denn so für für persönliche oder berufliche Erfahrungen mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen bis dato machen können?
(Dr Achim Hein) Na ja, die Digitalisierung ist ja sozusagen, wenn man weiß, [seit] '99 oder '98. Gut die Hälfte meines Lebens habe ich mit diesem Thema verbracht, es gerade im Gesundheitswesen zu etablieren – und stelle mir häufig die Frage, ob das richtig war. Aber Sie verzeihen mir die Selbstironie. Also insofern habe ich Erfahrung, sowohl was die technische Entwicklung angeht, als auch mit dem viel größeren Aufgabengebiet, das dann da wartet, nämlich Studien so auszulegen und zu begleiten, – und mit Studien meine ich medizinische, ökonomische und auch juristische –, so dass man solche digitalen Themen als zugelassenes Verfahren, beispielsweise in der Therapie, dann in der Regelversorgung zur Anerkennung bringen kann. Das ist nämlich die... Die größte aller Herausforderungen aus meiner Sicht ist, nicht eine Technologie zu entwickeln, sondern die Technologie so zu entwickeln, dass sie in der Regelversorgung in Deutschland auch Einzug halten kann. Darum geht es im Wesentlichen aus meiner Sicht, wenn man über oder wenn ich über meine eigenen Erfahrungen sprechen kann. Nichtsdestotrotz bin ich aber auch Nutzer, und zwar sowohl... Also ich nutze die Annehmlichkeiten der Digitalisierung. Wenn ich einen Arzttermin brauche, dann kann ich den ja über verschiedene digitale Plattformen nutzen. Das funktioniert prima und erspart einem wirklich viel Zeit. Ich nutze therapeutische Angebote, nachdem ich mein linkes Knie jetzt einer Kreuzbandoperation unterziehen musste. Also ich nutze das selber auch als Patient.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Also ich finde das auch ganz spannend, dass zu diesem Thema Digitalisierung eigentlich von allen, die was davon verstehen, immer gesagt wird: Das ist überhaupt gar kein technisches Thema. Technisch geht viel mehr als als tatsächlich genutzt wird im Moment, aber es ist halt immer ein juristisches Thema, an vielen Stellen auch ein Befindlichkeitsthema verschiedener Akteure. Auch das Thema Datenschutz ja riesengroß und Datensicherheit hat ja gerade in Deutschland glaube ich auch noch mal einen anderen..., ein anderes Potenzial vielleicht als in unseren europäischen Nachbarländern, wenn man sich das anschaut. Also insofern glaube ich so Ihre Erfahrung, dass man sagt, technisch geht viel mehr, als wir quasi zulassen. Würden Sie das auch so einschätzen?
(Dr Achim Hein) Ja, auf jeden Fall. Also das Thema... Ich sehe das ja so... also für mich ist sozusagen Digitalisierung im Wesentlichen eine Möglichkeit zur Unterstützung der Behandlung. Also ich sehe das wirklich von Behandlerseite. Das ist eigentlich verrückt, dass ein ausgebildeter Ingenieur heute über die Behandler-Seite referiert. Aber da ist für mich die Krux im Gesundheitswesen. Also Digitalisierung muss für mich sozusagen die Leistungen des Behandlers verbessern können, ohne dabei die Führung durch die Behandler zu verlieren. Und da gibt es gewisse Herausforderungen, dass es Technologien gibt, die Behandler ersetzen oder ersetzen können und gar nicht die Bedürfnisse, also weder die Bedürfnisse des Patienten oder der Patienten als auch der Behandler berücksichtigen. Ganz einfach aufgrund einer technischen Machbarkeit. Also es ist schwierig, die Balance zu finden zwischen der technischen Machbarkeit und dem Nutzenaspekt im Gesundheitswesen, dem Patienten damit auch wirklich was Gutes zu tun.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, und wenn Sie das so schildern, dann ist Ihre These einfach: Die Digitalisierung an sich ist erstmal ein Mittel, ein Instrument sozusagen zur Unterstützung?
(Dr Achim Hein) Genauso sehe ich das. Für mich ist Digitalisierung sozusagen wie ein Werkzeug, was in den Händen der Behandler zu besseren Resultaten führen kann. Egal ob diagnostisch oder therapeutisch. Warum sage ich das? Weil ich habe das anders selbst auch versucht, muss ich zu meiner Schande auch ausführen. Also ich habe tatsächlich versucht, digitale Prozesse in Einrichtungen so umzusetzen, dass man damit Behandler-Kapazitäten substituieren kann. Das führt aber zu Misserfolgen. Und zwar nicht nur auf Akzeptanz-Seite der Behandler, sondern vor allem auf der motivationellen Seite beim Patienten. Das wird häufig vergessen bei der Digitalisierung. Man kann das ja von verschiedenen Facetten beleuchten, also von der Machbarkeit, von der juristischen Seite. Eine Facette ist natürlich Compliance, Akzeptanz, Adhärenz beim Patienten. Und wenn man mal das ganz einfach runterbrechen will und sich selber in die Situation eines Patienten versetzt, dann will man als Patient ja, oder man erwartet ja als Patient von einer Behandlung, das Sich-Kümmern durch einen Behandler. Und es gibt viele oder einige Ansätze in Deutschland, aus meiner Sicht sogar gesetzlich manifestiert mittlerweile, dass dieses Prinzip einfach durchbrochen wurde. Und das finde ich, ist eine große Gefahr, wenn wir bei den Risiken sind, aber da kommen wir vielleicht später noch dazu. Aber eine große Gefahr im Gesundheitswesen [ist], dass man meint, eine App könnte einen behandeln, ohne dass der Behandler sozusagen involviert ist. Eine dieser Thesen, die ich da vertrete, ist, dass die Qualität der Behandlung steht und fällt mit der Zentrierung, also mit der Supervision, durch den Behandler. Also das ist so ein Prinzip, was für mich als als ehernes, fast schon Postulat gelten würde, dass man den Behandler (deswegen habe ich das Wort Behandler-Zentrierung gewählt), den Behandler in das Zentrum des Geschehens einer Behandlung setzt. Weil dafür ist er da, das hat er gelernt, das kann er.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber das heißt ja, wenn ich Sie richtig verstehe, dass es eigentlich ein Miteinander geben muss von Technik und Behandler.
(Dr Achim Hein) Ja, ich sage mal... nehmen wir mal nur den Begriff Telemedizin – der ist ja die Katastrophe an sich. Warum? Weil er versucht, zwei Dinge miteinander zu verbinden, die scheinbar nicht zusammenpassen, nämlich Telematik und Medizin. Und ich erlebe, dass heute Telemedizin überwiegend von Technologen diskutiert wird, weniger von Behandlern. Also weniger von den Medizinern. Die lassen das über sich ergehen. Aber es findet noch keine aktive oder nicht viel aktive Gestaltung seitens der Behandler statt, um da sozusagen mitzuwirken, sondern man lässt das über sich ergehen, sozusagen. Und das ist sozusagen dieses Enabling auf der einen Seite, das kann dazu führen, dass die Behandler – und das passiert ja auch teilweise – die Sache einfach ablehnen, weil sie sich nicht genügend mitgenommen fühlen. Das klassische Beispiel sind ja die DiGAs. Die DiGAs – groß von [Jens] Spahn, also von dem vom Gesetzgeber, eingeführt, sind halt sozusagen international großer Erfolg. Also ich sage mal, als Marketing für die Bundesrepublik Deutschland ein großer Erfolg. Warum? Wir sind das erste Land, das App auf Rezept macht. Aber die Compliance-Quoten oder die Nutzungsraten sind weit unter dem zweistelligen Prozentniveau. Das heißt, die Patienten... das Wenigste, was von Ärzten verordnet wird, wird wirklich vom Patienten akzeptiert, weil eben das Sich-Kümmern eines Behandlers fehlt.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und ist das ein deutsches Phänomen, aus Ihrer Erfahrung?
(Dr Achim Hein) Ja... Warum deutsches Phänomen? Weil man hat wieder so ein – Sie verzeihen das, wenn ich das so sage –, so ein bürokratisches Verordnungskonstrukt drumherum gestrickt. Das heißt, ein Arzt ist jetzt... oder man hat es den Ärzten erlaubt, eine Diagnose, eine App auf Rezept zu verordnen, also wie ein Medikament, was ich per se für gut halte. Aber sozusagen [hat man] die Gründe eines Patienten vernachlässigt, warum er denn sowas nutzen würde. Oder ich will es mal noch wirklich pointiert sagen: Es ist ja nicht die App, die einen behandeln kann, sondern es wird ja einem Patienten sozusagen vorgegaukelt, er würde durch eine App behandelt. Das ist ja keine wirkliche Behandlung, er nutzt ja eine Software. Also das muss man, glaube ich, muss man noch trennschärfer argumentieren lernen, was denn eigentlich eine Behandlung ausmacht oder was eine Behandlung ist und was eine App, eine App auf Rezept oder andere digitale Methoden sein können.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber wenn wir da sind, also wenn wir definieren, was eine Behandlung ausmacht, dann müssten wir uns wahrscheinlich ja auch damit auseinandersetzen: Was macht den Behandlungserfolg aus oder was ermöglicht ihn überhaupt genau?
(Dr Achim Hein) Genau das ist richtig. Das ist ein unheimlich, also ich sage mal, heißes Parkett, auf das man sich da begibt, insbesondere als Nichtmediziner. Das ist aber auf der anderen Seite... ich will der Frage mal aus dem Weg gehen: Ich glaube, Digitalisierung kann wirklich dabei helfen, diese Erfolge zu transparentisieren. Also ich sehe das ja selber sozusagen als Betreiber von Therapiezentren, dass man am Kostenträger sehr gut nachweisen kann, wie sich Patienten entwickeln. Und zwar aufgrund von objektiven Kriterien, die man messen kann. Und die sind dann auch nicht verfälscht durch subjektive Fragebögen, was ja heute zum Standard der medizinischen Qualität gehört. Also häufig. Oder positiv formuliert: Digitalisierung kann, und da denke ich in die Zukunft, ganz sicher dazu beitragen, dass man diese Qualitätsaspekte so transparent darstellt, dass man an der Qualität der Behandlung weiterarbeiten kann. Was nicht allen Behandlern gefällt. Das bringt ja Unruhe. Erstens legt das offen, was man selber tut. Das sind Sie und ich gewohnt, dass wir das täglich offenlegen müssen, was wir da tun. Aber ich sag mal, viele solcher Bereiche sind das nicht in der Form gewohnt.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber es ist ja auf der anderen Seite auch eine Riesenchance für den Patienten, für den Behandler und ja, auch für das ganze System, wenn man in diese Fragen ein bisschen mehr Transparenz bringt.
(Dr Achim Hein) Ja, selbstverständlich. Das ist ja das. Ich sehe das auch als große Chance. Patienten können ja durch Digitalisierung nicht nur, ich sag mal, schneller Therapie erhalten oder Behandlung auf eine einfache Art und Weise zu Hause solche Dinge nutzen, trotz Fachkräftemangel. Das sind ja alles Dinge, die sozusagen auf der Hand liegen. Dahinter liegen aber noch solche Effekte wie Sichtbarmachung von Qualität aufgrund von objektiven – ich sage jetzt mal wirklich – Messdaten, oder irgendwie objektiv vorliegenden Daten darüber, wie häufig oder wie gut eine Nutzung bzw. die aufgrund der Nutzung hervorgerufene Ergebnisqualität war. Das ist ja eine völlig neue Dimension. Das kennt man ja eigentlich gar nicht in der Medizin oder nur ganz selten. Ja, meistens ist das immer eine Knieop, die ich jetzt nur hatte. Er kann wieder laufen nach sechs Monaten oder nicht? Ich meine, das ist auch ein gutes Kriterium, ganz klar. Aber vielleicht hätte man ja auch durch mehr Therapie, beispielsweise zu Hause, schneller dafür Sorge tragen können.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber ich finde, dieses Thema Qualität im Gesundheitswesen ist ja sowieso eins, das aus meiner Sicht viel zu wenig in den Fokus genommen wird. Ich meine, wie viele Jahrzehnte sprechen wir schon zum Beispiel über Pay per Performance Ansätze – schwieriges Wort –, ohne dass das ja effektiv genutzt wird!?
(Dr Achim Hein) Na ja, das ist aus meiner Sicht weniger ein qualitatives Thema, sondern eher ein Thema der Motivation der beteiligten Akteure. Also wir haben ja dieses unheimlich schwierige, verkrustete, bürokratisch-durchzogene Gesundheitssystem, wo der Gesetzgeber eigentlich nach der Gesetzgebungsphase nahezu keinen Einfluss mehr darauf hat, was die Selbstverwaltung macht. Und in der Selbstverwaltung... also mir ist zumindest kein steuerndes Medium bekannt, außer möglicherweise im GBA, auf diese ganzen Prozesse, die dann später stattfinden, irgendwie Einfluss zu nehmen. Und wenn dann sozusagen die Qualität von Leistungserbringerseite dargestellt werden kann, aber von Kostenträgerseite gar nicht gesehen werden will, warum auch immer. Ich mache noch ein plastisches Beispiel: Die ersten Versuche bei mir – bin ich ja sozusagen im Bereich Therapie zu Hause. Da haben wir sozusagen Ärzten und Kostenträgern versucht zu vermitteln, dass sie sehr, sehr genau und sehr präzise sehen können, was die Patienten denn tun. Das hat den Kostenträger überhaupt nicht interessiert. Warum nicht? Weil, das hat nicht in die Bürokratieprozesse gepasst, weil überhaupt keiner beim Kostenträger verfügbar war, der solche Dokumentation überhaupt auswerten konnte. Es hat schlicht eine Stelle dafür gefehlt oder eine Kompetenzstelle, die mit solchen Dingen hätte umgehen können. Ich glaube, so etwas wird sich in Zukunft ändern. Aber die Prozesse, die dazu führen, dass solche digital gestützten Resultate von allen gleichermaßen angewandt werden können, da braucht man, glaube ich, noch ein bisschen früher.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, es ist ja eh alles sehr, sehr zäh in diesem Bereich.
(Dr Achim Hein) Das ist nicht. Also ich will jetzt nicht politisch werden oder so, aber es ist nicht nur in dem Bereich so, sondern ich glaube oder ich habe für mich persönlich irgendwann mal dieses Prinzip der... – es gibt so ein Verwaltungsprinzip, ich weiß nicht, ob Sie das kennen – das nennt sich das Prinzip der negativen Koordination.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Das müssen wir hier auf jeden Fall mal erklären!
(Dr Achim Hein) Ja, negative Koordination bedeutet, dass ein Vorhaben zunächst von einer Bürokratieeinheit dahingehend geprüft wird, ob es möglicherweise einen negativen Einfluss auf den eigenen Status quo oder die Interessen der prüfenden Bürokratieeinheit hat. Soll heißen: Es wird zunächst erstmal geprüft: Bin ich dafür zuständig und habe ich, hat meine Einrichtung, meine Behörde... jetzt potenziell mehr Arbeit oder irgendwie einen negativen Einfluss zu befürchten? Und das zieht sich durch alle, durch die gesamte Gedankenwelt. So sehe ich das mittlerweile in den verschiedenen Instanzen, nicht nur im Gesundheitswesen. Und das führt natürlich dazu... das ist natürlich das Maximum der Innovationsfeindlichkeit. Wenn man immer erstmal nicht prüft auf den potenziellen Nutzen einer neuen Idee, beispielsweise Digitalisierung. So man erstmal überprüfen muss oder will, ob das möglicherweise negativen Einfluss hat. Man muss beides tun, finde ich, in einem ausgewogenen ausgewogenen Verhältnis. Ich erlebe das heute eher so, dass da immer nur – und man möge mir meine Frustration diesbezüglich verzeihen – zunächst immer erstmal geguckt wird: Bin ich überhaupt zuständig oder müssen wir woanders noch mal fragen? Also das ist... in Bayern, würde man sagen: der Buchbinder Wanninger.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber wenn wir mal gucken, Sie haben es ja schon angesprochen: Es gibt ja ganz viele Möglichkeiten, von denen wir ja nur einen Bruchteil nutzen. Wenn wir jetzt mal so ein bisschen den Patienten in den Fokus nehmen. Die Leute sind ja grundsätzlich gerade so in sozialen Netzwerken sehr freigiebig mit ihren Daten. Da wird ja alles Mögliche gepostet, wo man manchmal vielleicht auch sich fragt, ob das eine gute Idee ist. Wenn es jetzt aber um Gesundheitsdaten geht, also nehmen wir die elektronische Patientenakte beispielsweise, da gibt es ja sehr leidenschaftliche, sehr emotionale Diskussionen plötzlich, die sich ja auch Jahre und Jahrzehnte hinziehen, bis dann irgendwann mal irgendwas auf den Weg gebracht wird. Haben Sie einen Rat an den Gesetzgeber, was man da tut?
(Dr Achim Hein) Oh, das ist eine schwere Frage, weil die Datenschutzthemen das ist so... ich will das mal so versuchen zu beantworten: Also ich selber nutze ein iPhone und ich habe auch so eine Apple Watch. Und wenn ich Herzrhythmusstörungen habe, dann bin ich das gewohnt, dass meine Uhr das erkennt und mir das sagt. Das finde ich auch gut so. Ich finde, dass wir in Deutschland sowieso die meiste Angst haben. Das mag auch seine Berechtigung haben, ich will das auch nicht herunterspielen oder so. Weil die Urangst ist ja, dass Fremde, Dritte auf die Daten, auf meine Gesundheitsdaten, zugreifen können, um in irgendeiner Art und Weise eine Repressalie auf mich auszuüben. Der Klassiker ist ja: Ich bin zu dick, der Arbeitgeber hört davon und setzt mich auf Diät. Ich sage das jetzt sehr, sehr salopp. Wobei in Japan gibt es solche Beispiele, wobei das sozusagen in Kenntnis des Mitarbeiters oder Patienten passiert. Und letzteres ist, glaube ich, der wichtige Schritt. Man kann das ablehnen oder man kann dem zustimmen. Quasi intuitiv stimmen wir ja heute allem zu, was da kommt. Die Oma hat immer gesagt: Du sollst keine Kekse von Fremden essen. Heute sind wir gewohnt, jeden Cookie zu akzeptieren, der in jeder neuen App jeden Tag aufs Neue auftaucht, ohne zu wissen, was da passiert. Ich selber wundere mich schon manchmal, dass wenn ich im Internet irgendwas suche, in Safari, Google, wo auch immer, und kriege am nächsten Tag sozusagen Angebote von dem gesuchten Artikel. Da frage ich mich immer, wie funktioniert das, also plattformübergreifend, ganz tolle Sachen. Ich finde, dass es dem Patienten freistehen sollte, dem zuzustimmen, dass seine Daten verwendet werden oder nicht. So wird das heute auch üblicherweise gehandhabt und damit ist die Sache fein. Und der Rest liegt auf Gesetzgeberseite, sozusagen potenziell dem Arbeitgeber oder anderen Akteuren zu untersagen, das in werberischer oder sonstiger Art und Weise zu nutzen. Ob das gelingt, durchgängig? Wage ich zu bezweifeln, um ehrlich zu sein.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber ich finde, gerade wenn Sie so diese diese Uhren ansprechen. Also ich habe tatsächlich auch so ein Ding, ich werde auch immer überwacht und habe damit auch grundsätzlich kein Problem. Aber ich kenne ganz viele Leute, die einfach so dieses Narrativ bedienen. Das sind ja höchst sensible Daten. Sind es ja auch. Ist ja überhaupt gar keine Diskussion. Und das, was Sie aber sozusagen Ihrer Uhr anvertrauen und der App auf Ihrem Handy, da sind Sie freigiebig mit. Aber wenn es dann darum geht, was auf so einer Patienten-Versichertenkarte gespeichert wird, das ist dann plötzlich ein Riesenthema, genau mit dem, was Sie angesprochen haben. Man weiß ja nicht, was damit wird und wer da irgendwie Zugriff und sonst was hat. Und das finde ich ganz spannend, dass wir im privaten Kontext damit sehr, ich will nicht sagen lässig, umgehen, aber zumindest lässiger umgehen, als wenn es plötzlich dann in den Bereich der offiziellen Verwendung geht.
(Dr Achim Hein) Ja, das ist in der Tat so, das ist. Das ist übrigens in beiden Richtungen so, also in beiden Richtungen. Damit meine ich folgendes: Der Nutzen wird unverhältnismäßig unterbewertet. Soll heißen, wenn ich zum Joggen gehe und ich habe ein Problem im Wald oder ich weiß, ich fahre gerne Endurorennen, bin gestürzt oder so, dann sagt mir meine meine Apple-Watch: Bist du hingefallen? Muss ich einen Alarm auslösen? Dann wird dich schon einer finden. Das ist also ein Nutzen, den ich dadurch habe, dass ich die Daten... Ich habe das Apple ja freigegeben, die zu nutzen, und ich finde diese Nutzenseite wird zu wenig diskutiert, sondern sozusagen am Altar der Datenschützer geopfert. Also ich würde das wirklich mal so krass formulieren, weil so sehe ich das tatsächlich. Ich glaube, wir könnten viel, viel, ich will jetzt nicht sagen, Leben retten, aber viel Gutes tun. Wenn solche Daten, die wir beide nutzen, mit Apple und Co. Zur Verfügung stellen könnten. Genauso wie übrigens den, helfen Sie mir mal, wo man den Organspendeausweis, den ich bei Apple hinterlegt habe... Also wenn mir was passiert und dann geht einer drauf, dann kann er das sehen, sofort. Also brauche ich überhaupt keine gesetzliche Diskussion in Deutschland führen. Ich habe das einfach freigegeben.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber wäre das dann vielleicht der Schlüssel, dass man einfach sich stärker in der Diskussion auf den Nutzen fokussiert und dann einfach eine individuelle Interessenabwägung stattfindet, wie viel von diesem Nutzen möchte ich für mich haben und wie viel bin ich bereit, an Daten dafür zur Verfügung zu stellen?
(Dr Achim Hein) Richtig. Also auf Patientenseite sehe ich das genauso wie Sie. Also wie Sie es jetzt dargestellt haben, weil ich glaube, wenn man den Patienten, und damit meine ich wirklich jeden Patienten, die Vorteile richtig vermittelt, die er hat. Gut, jetzt will nicht sagen, da kann man jeden davon überzeugen. Aber ich glaube, es würden sich weniger Barrieren auftun, sich solchen Dingen gegenüber zu öffnen. Das ist übrigens sowieso eine Erfahrung, die ich habe, dass die Patienten das Geringste, also die geringste Barriere zum Einsatz von Digitalisierung... sehe ich persönlich auf Patientenseite. Die Patienten wollen das, wenn der Arzt oder Therapeut sagt, das ist das Richtige für dich, ich mach das, du bist schneller fit, das hilft dir, dann wird das gemacht. Viel schwieriger sind die Kostenträger davon zu überzeugen, das zu finanzieren oder eine Selbstverwaltung davon zu überzeugen, das verordnungsfähig zu machen, das sind viel größere Barrieren.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Also müsste man da sozusagen ansetzen bei den Kostenträgern, bei den Leistungserbringern. Und die Patienten, die, die laufen dann schon mit.
(Dr Achim Hein) Ja, so sehe ich das zumindest in Deutschland.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Naja, aber das macht doch Hoffnung. Also wie soll ich sagen.
(Dr Achim Hein) Also ja, ich meine, wenn ich auch dazu neige, immer so die Probleme aufzuzeigen, weil ich mich natürlich den ganzen Tag mit diesen Problemen rumschlagen muss oder das die letzten Jahre getan habe, dann neigt man ja dazu, sozusagen die Probleme überzubewerten, das ist wie mit den kranken Kindern, da kümmert man sich halt mehr drum als um die, die von alleine laufen, das ist klar. Deswegen versuche ich das natürlich so darzustellen. Insgesamt steht für mich völlig außer Frage, dass Digitalisierung für uns alle einen ganz enormen Vorteil bringen wird. Ich habe nur irgendwie den Eindruck, alle rennen so um die Digitalisierung rum. Die Patienten wollen das, die Politik will das, viele Verbände wollen das. Aber dann gibt es so eine, n der Mitte so eine Selbstverwaltung, die vom selben zu überzeugen unheimlich schwer ist. Und ich habe sogar mittlerweile den Verdacht, dass sozusagen ein Lebenszyklus nicht ausreichen wird, um das zu erledigen.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, ich finde es ganz spannend. Ich möchte mal so einen Bogen spannen zur tierärztlichen Versorgung. Ja natürlich sind das nicht so sensible Daten, das ist mir schon klar. Aber grundsätzlich. Ich meine, ich buche über eine App einen Termin beim Tierarzt. Der Tierarzt kommt zu mir nach Hause, schickt mir vorher seinen Standort, sagt, wann er da ist, ruft dann vielleicht noch an, wenn er später kommt, tut das, was er tun muss und sobald er die Tür verlässt, habe ich auf meinem Handy dann in der App die Rechnung. Ein Befundbericht und alles, was ich so brauche. Natürlich ist das ein Tier und natürlich ist das nicht vergleichbar, das ist mir schon klar. Nur, vom Prinzip her, ist ja der Nutzen für mich da unheimlich im Vordergrund zu sehen.
(Dr Achim Hein) Ganz genau. Und das funktioniert bei uns ganz genauso gut. Und zwar für viele Behandlung, nicht für alle, ist klar, aber für viele Behandlungen. Und zwar für viele ärztliche Behandlungen und auch für viele therapeutische Behandlungen. Und das ist technisch überhaupt kein Problem, das zu realisieren, weil das geht bei Ihrem Tierarzt, das geht bei jedem anderen Arzt auch. Aber die Barrieren, das so umsetzen zu können, sind so exorbitant hoch und manchmal auch gar nicht bekannt, dass sich das einfach nicht durchsetzt. Deswegen haben wir ja keine sektorenübergreifenden Lösungen, weil da müsste man.... Ich bin letztens gefragt worden, was denn so ein Vorschlag wäre – von einem Politiker war das –, was man denn möglicherweise ändern könnte, damit man die Patienten besser steuern kann. Da habe ich gesagt: Naja, dann nehmen Sie doch mal die gesamte Rehabilitation aus der Deutschen Rentenversicherung raus. Wenn das jetzt die Rentenversicherung hören würde, da bin ich... Da gäb's schon wieder so ein "warum...?" Weil Sie wissen es – die GKV und die Rentenversicherung, die steuern sich immer. Die versuchen immer, den Patienten zum anderen Kostenträger zu schieben, als eine Gruppe. Als [anstatt] eine ökonomisch globale Sicht aufs Case Management des Verlaufs des Patienten über den gesamten Prozess zu haben. Und solange wir solche Brüche haben... Also es gibt ja technische Lösungen zur sektorenübergreifenden Versorgung, aber die Brüche sind insbesondere auf Kostenträgerseite oder Kostenträgerschaftsseite sogar in den unterschiedlichen SGB zu sehen. Ich sage nur Pflegeversicherung, Krankenversicherung und Rentenversicherung, SGB fünf und elf, die sitzen manchmal in einem Gebäude. Zweiter Stock, vierter Stock. Es wird aber nicht miteinander geredet und schon gar nicht ein Patient so gesteuert, dass für das Sozialsystem das Beste rauskommt. Also das sind echte Hürden, echte Barrieren, die, eigentlich nur ein Gesetzgeber sozusagen auflösen kann.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, wenn er mal wegkommt von so Insellösungen, ne?
(Dr Achim Hein) Ja klar. Aber wobei Insellösung, das ist ja so ein Begriff, der gerne für technische Insellösung verwendet wird. Aber hier, das sind eigentlich Kostenträgerschaft-Insellösung, die müsste man eigentlich überwinden.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Na ja, und davon würde natürlich auch der Patient profitieren, weil wenn wir das so sehen, wie lange sich manchmal Kostenträger streiten, wer jetzt für eine bestimmte Maßnahme dann zuständig ist oder auch nicht und wie viel Energie reingegeben wird, dass man selber nicht zuständig ist, sondern jemand anders... In der Zeit und mit der Energie hätte man natürlich schon ganz andere Dinge bewegen können an der Stelle.
(Speaker 5) Ja, natürlich. Der Klassiker ist ja, nehmen wir mal einen Patienten, ich nehme mal irgendeine DRV, also berufstätiger Patient, der in der Reha liegt nach einer Hüfte... so, der ist ein Kostenpunkt bei berufstätigen Kostenträgerschaft der Deutschen Rentenversicherung. Die macht dann post-rehabilitativ vielleicht noch irgendwas, vielleicht aber auch nichts. Kommt ganz drauf an und die Krankenkasse ist ja sozusagen dazu geneigt, den so lange wie möglich in Kostenträgerschaft der Deutschen Rentenversicherung zu halten, was dazu führt, dass derjenige überhaupt nicht mehr zum Arbeiten geht, also berufstätig, aktiv ist und damit sozialversicherungspflichtig Beiträge zahlt, was natürlich der Gesamtwirtschaft einen gewissen Schaden zufügt. Solange aber dieser Reibungspunkt nicht aufgelöst ist, wird sich das nicht ändern. Digitalisierung hin oder her.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Das ist eine bittere Erkenntnis an der Stelle.
(Dr Achim Hein) Ja klar. Aber die Digitalisierung wird dazu verhelfen, dass sich das auflöst, Davon bin ich überzeugt. Weil nämlich die Datenlage auf beiden Seiten irgendwann so erdrückend wird, dass selbst sozusagen der mit Scheuklappen durch die Gegend rennt, ganz einfach, zwangsläufig... Und da, glaube ich, wird das ökonomisch gelöst werden, dass man auf beiden Seiten so eine gute Datenlage zum Beispiel hat, was die positiven Effekte einer Zusammenarbeit wären, dass man sich auf Gesetzgebungsseite ganz einfach dazu, wahrscheinlich, überwinden wird, das Thema mal zu diskutieren.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, spannend. Also ich finde, das ist sowieso ein ganz spannendes Thema, was ich so ein bisschen ja von der Schwerpunktsetzung... Ich finde, wir reden immer viel zu viel über die Risiken und über irgendwie das Thema Datenschutz und was weiß ich, was alles schiefgehen kann. Und wir reden viel zu wenig über den Nutzen. Und deswegen würde ich Sie gerne so zum Abschluss noch mal fragen Was ist denn so Ihre ganz persönliche Einschätzung? Wenn wir mal fünf oder auch zehn Jahre in die Zukunft blicken, wie entwickelt sich das denn, das Ganze?
(Dr Achim Hein) Also ich glaube, wenn wir mal zehn Jahre in die Zukunft schauen, und jetzt haben wir noch gar nicht über KI geredet, aber ich glaube, wir werden für Patienten unheimlich viele Vorteile nutzen können. Damit meine ich, wir werden eine sehr viel bessere Diagnostik haben, weil die KI-Systeme da unheimlich gut unterstützen. Das tun Sie heute schon. Ich glaube, wir werden, jetzt nur die Patientenseite, einen sehr viel einfacheren Zugang haben. Erstens zu Terminen oder auch Teleterminen im Sinne von Video, und zwar völlig unproblematisch. Wir werden zu jeder Zeit Zugang zu einer vernünftigen Beratung im Sinne von medizinischer Beratung haben. Und solche Dinge wie Wartezeiten oder so, das wird alles völlig entfallen. Allerdings... Oder nennen wir doch noch etwas Positives davor: Wir werden auch eine sehr viel bessere Informationslage zu dem haben, was wir als Behandlung erhalten werden. Oder auch, was uns zusteht, möglicherweise. Ich glaube, was wir auch erleben werden, ist, dass wir als Patient mehr in die Pflicht genommen werden. So wie beim Zahnarzt heute. Also ich glaube, es werden nicht nur Bonus-, sondern auch Malus-Systeme kommen, so nach dem Motto: Wenn du nicht regelmäßig zur Zahnvorsorge gehst, dann musst du nachher von deiner Behandlung selber was bezahlen. Also ich glaube, die Patienten werden mehr in die Pflicht genommen. Finde ich auch richtig, übrigens... mehr in die Pflicht genommen werden, damit sozusagen die bessere Versorgung, die dann stattfinden kann, nicht alleine auf den Sozialkassen ausgelebt werden die das auch langfristig, aber das ist jetzt ein Kostenthema, glaube ich, dass wir das Sozialsystem so oder auch das Gesundheitswesen so nicht weiter finanzieren werden können. Also das wird in zehn Jahren anders aussehen, aber das wird dann eine etwas andere Diskussion. Also das wären für mich die wesentlichen Vorteile für die Patienten. Auf der anderen Seite, glaube ich, wird, wenn auch sehr langsam, ein Umdenken stattfinden. Das stelle ich auch immer wieder fest, dass man sozusagen gefangen ist, so ein bisschen in dem Korsett seiner Erfahrungen, die man im Studium gelernt hat, als Arzt oder Therapeut. Und dass man in diesen Bahnen auch arbeitet. Was ja nicht schlecht ist. Ich glaube, da gehört die Ausbildung noch dazu. Denn der Umgang mit digitalen Behandlungsmethoden, weil heute ist es ja so, dass man so intuitiv geneigt ist zu sagen na ja, da musst du halt eine App verwenden und die Einführung der Digitalgesetze in Deutschland hat, ja, hat dies ja auch nur bekräftigt oder bestärkt. De facto habe ich festgestellt, dass wenn ein Behandler einen Patienten unter Verwendung von Digitalisierung behandelt, also wirklich Einfluss nimmt über eine App, und dem sozusagen Anleitung zum richtigen Handeln gibt, dann ist das so eine neue Art des Umgangs zwischen Behandler und Patient. Und das kann man wie eine Behandlungsmethode sehen. Das ist nicht nur sozusagen den Patient beim Physiotherapeuten auf die Liege legen, sondern das ist eine andere Art der Interaktion und Kommunikation mit dem Patienten. Und das gehört in die Ausbildung. Und ich glaube, das wird kommen. Ich glaube, dass das ein neues, wie eine neue Abteilung in der Klinik werden sich digitale oder Teleabteilungen bilden, die für diese Sparte digitale Patientenversorgung oder Patientenweiterversorgung etablieren werden. Also es entsteht einfach ein neuer Versorgungsbereich.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und für die Kostenträger?
(Dr Achim Hein) Ja, da habe ich ein lachendes und ein weinendes Auge. Also was dem Kostenträger natürlich exorbitant gut in die Karten spielt, im Sinne von von Kostenübersicht, ist die die Transparentisierung der Leistung. Also man sieht ja, wenn Sie so wollen, man kann ja für jeden Patienten tagesgenau ermitteln, was kostet der und was kann er denn bringen? Also das wird ja... Man kann ja eine Kosten-Nutzen-Analyse des Patienten erstellen. Das ist Versicherungsmathematik. Beim Versicherer denkt man auch so... ich sag mal ich will diese bösen Worte wie "sozialverträgliches vorzeitiges Ableben von Diabetikern" jetzt nicht erwähnen, aber das habe ich schon erlebt, dass man das sagt, weil die Langzeitversicherungskosten höher sind. Das wird noch transparenter werden und auf Kostenträgerseite sicher dazu führen, dass man möglicherweise mehr Repressalien ausübt, was an sich jetzt noch nicht geht, außer bei den Zahnmedizinern. Aber ich glaube, das wird kommen.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Naja, und in der privaten Versicherung haben wir das ja schon schon seit Ewigkeiten mit den Risikozuschlägen. Das ist nichts anderes, ne?
(Dr Achim Hein) Ganz genau. Ja, aber das geht ja sozusagen in der Öffentlichkeit unter. Und ich bemerke ab und an in Diskussionen, dass Patienten..., ich will es mal so sagen, ich versuche das mal vorsichtig zu formulieren: Es gibt ja auch Patienten, die gehen zum Arzt, um sich alle 14 Tage was Neues verordnen zu lassen. Da kann man, machen wir ein Beispiel, Logopädie sich verordnen lassen, um das als Nachhilfe für das Kind in der Schule zu nutzen oder verschiedene andere Leistungen sich verordnen lassen, um die Vorzüge zu genießen. Ich sag mal, im Zuge so einer Neiddiskussion, könnte das patientenseitig ja geschürt werden, dass da ein anderer Patient sagt: Guck mal da hinten, der oder die, die kriegt aber das und das... kann ich ja auch haben. Also dieses Anspruchsdenken ist bei manchen ausgeprägter, bei manchen nicht. Und ich glaube, da kann man als Kasse besser intervenieren, wenn man so will.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja. Insofern bleibt mal abzuwarten, wohin dann die Reise geht und wir schauen einfach mal, wie sich das entwickelt und haben da ja sicherlich einen guten Blick drauf, denn vieles ist ja auch im Moment in Bewegung, gerade in diesem Bereich. Und vieles wird uns auch zwingen, uns da Gedanken zu machen, wie wir bestimmte Dinge umsetzen wollen, weil wir so an den Fachkräftemangel denken, so gerade in der ländlichen Versorgung. Da müssen ja dann irgendwie Lösungen her und alles, was da eine Lösung sein kann, ist ja sicherlich willkommen an der Stelle. Ich danke Ihnen ganz, ganz herzlich für das Gespräch, dafür, dass Sie sich die Zeit genommen haben, so ein paar Gedanken zum Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen mit uns zu teilen. Und wie immer an dieser Stelle hier auch der Aufruf: Wenn es spannende Gesprächspartner gibt, die Sie mal hören möchten oder wenn Sie selber einer sind, dann melden Sie sich gerne. Und an dieser Stelle verabschiede ich mich dann und wir hören uns bestimmt beim nächsten Mal wieder. Vielen Dank fürs Zuhören.
(Dr Achim Hein) Danke schön.

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