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Transkript Herausforderungen in der ambulanten Versorgung



(Prof Dr Birgit Schroeder) Herzlich willkommen zu einer neuen Folge. Wir sprechen heute mit jemandem, über dessen Besuch wir uns virtuell sehr, sehr freuen. Mit jemandem aus der Praxis, mit Informationen für die Praxis. Und wir sprechen über Entwicklungen im Gesundheitswesen in dieser Reihe, sprechen über Veränderungen in der ambulanten Versorgung, Herausforderungen für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und freuen uns sehr, wenn Sie sich heute einmal bei uns selber vorstellen mögen.
(Dr Monica Schliffke) Gut, also zunächst ich bedanke mich recht herzlich, dass ich von Ihnen zu diesem Podcast eingeladen worden bin. Zu meiner Person Mein Werdegang ist nicht unbedingt spektakulär. Ich habe Medizin studiert und dann promoviert an der Medizinischen Hochschule in Hannover und danach folgten dann sechs Weiterbildungsjahre in Kliniken und im Alter von 30 habe ich mich dann niedergelassen, gelassen, inzwischen auch mit Mann und zwei Kindern und habe eine Praxis für Allgemeinmedizin aufgemacht und kam Ende der 90er Jahre dann mehr oder weniger erst per Zufall zur Berufspolitik. Das machte mir dann auch Spaß. Der Kontakt zu den Kollegen hat sich deutlich intensiviert. Aber was ich sehr schnell gemerkt habe, ist, dass mir sehr viele Grundlagen, vor allen Dingen systemische Grundlagen zum Gesundheitswesen fehlten. Und ich habe mich dann entschlossen, ein Fernstudium der Gesundheitsökonomie parallel zur Praxis durchzuführen und habe dieses auch dann nach drei Jahren mit einem Diplom abgeschlossen. Damals gab es noch nicht diesen MBA Studiengang. Ja, 2012 konnte ich dann meine Praxis in gute Hände geben und seitdem bin ich Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung hier in Schleswig Holstein.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, vielen Dank. Da haben wir doch schon mal ein bisschen Einblick bekommen. Und mit unseren Studierenden verbindet sie dann auch die Tatsache eines Fernstudiums. Das ist doch ganz prima. Ja, wir wollen so ein bisschen sprechen über Herausforderungen und Probleme in der ambulanten Versorgung. Und wenn wir da einsteigen, wenn Sie sozusagen auch aus Ihrer persönlichen Wahrnehmung mal die größten Baustellen oder Probleme uns benennen könnten.
(Dr Monica Schliffke) Also momentan haben wir ein ganzes Konglomerat von Problemen, dass es so auch noch nicht gegeben hat. Nach der Pandemie kulminieren nicht nur alle Infekte, auch die Arbeitsbelastung hat für alle Fachgruppen deutlich zugenommen. Und parallel dazu erleben die Praxen ein Abwandern von Personal in die Kliniken oder auch in ganz andere Berufe. Dazu kommt dann die Inflation, die Kostensteigerung um die 30 %. Und das löst doch nicht unerhebliche Ängste auch bei den Niedergelassenen aus. Denn wenn die den Eindruck haben, dass die finanzielle Basis mehr oder weniger aktuell deutlich einbricht und die Honorare dagegen gedeckelt sind, dann ist das schon eine besonders schwierige Situation. Und als letzten Punkt Unser aktueller Gesundheitsminister überschwemmt uns fast wöchentlich mit neuen Anforderungen und die auch nicht immer umsetzbar sind. Und von daher sind die Praxen tatsächlich im Augenblick in einer sehr unsicheren Situation.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und das merken Sie dann sicherlich auch in den Rückmeldungen, die bei Ihnen ankommen.
(Dr Monica Schliffke) Also die Mailboxen sind voll von vielerlei Problemen. Wir haben ja auch regelmäßige Gremiensitzungen. Gestern wieder hatten wir die Hausärzte hier und es ist schon sehr, sehr schwierig.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, dann wissen wir doch ungefähr, was so los ist. Vieles entnimmt man ja auch der Presse, aber es ist immer ganz schön, das auch mal von jemandem zu hören, der sozusagen sehr viel näher dran ist an den Ärzten.
(Christiane Schmidt) Sagen Sie, Frau Schliffke. Worin sehen Sie denn das Problem des Fachkräftemangels? Wurde dieser viel zu spät erkannt oder hätte man früher gegensteuern können nach Ihrer Meinung?
(Dr Monica Schliffke) Also ich glaube nicht, dass man das in dieser Art und Weise überhaupt hätte erkennen können. Nicht weil ich nun zu den Entscheidungsträgern in dieser Hinsicht gehöre, sondern weil sich die Situation so extrem durch die Pandemie geändert hat. Also der Beruf der medizinischen Fachangestellten, der ist unverändert attraktiv und sehr gefragt. Also in unserem Bundesland sind zum Beispiel alle Ausbildungsplätze auch besetzt. Insofern schlägt die Demografie in der Richtung noch gar nicht durch und nur die hätte man ja in etwa vorberechnen können. Wir haben schon diese Sondersituation, die den Prozess hervorgerufen hat. Es ist überall bekannt, zum Beispiel, dass die Pflege vom Staat ja Sonderzuwendungen für ihre Pandemieleistung erhalten hat. Die medizinischen Fachangestellten aber nicht, obwohl sie mindestens gleichartig physisch durch Mehrarbeit und auch psychisch belastet waren. Und diese fehlende Wertschätzung, die man seitens der Politik ihnen entgegengebracht hat, die sitzt sehr tief. Auch wenn viele Ärzte als Arbeitgeber da finanziellen Ausgleich geschaffen haben. Und dann hat sich leider auch noch neu entwickelt ein zunehmend forderndes, teilweise auch respektloses, manchmal aggressives Verhalten von Patienten in Praxen im Anmeldebereich vorwiegend. Der Arzt bekommt das eher selten mit, so dass er da intervenieren könnte. Aber das ist auch schon ein neues gesellschaftliches Problem und Phänomen, dass es im Gesundheitswesen eigentlich so in dieser Ausprägung noch nicht gegeben hat. Und viele gestandene medizinische Fachangestellte wollen sich das einfach nicht mehr antun.
(Christiane Schmidt) Also sehen sie da eine Fluktuation in andere Bereiche dann?
(Dr Monica Schliffke) Wir sehen sogar im Moment ein recht aggressives finanzielles Abwerben durch die Kliniken. Die MFA können in Kliniken als sogenannte Hilfskräfte, ja Hilfskräfte – aber nicht im Sinne von Reinigung, sondern im Sinne von medizinischen Leistungen, aber nicht im pflegerischen Bereich angesiedelt werden. Und die Krankenhäuser haben natürlich auch durch die Personalgrenzengesetze und Unterstützungsgesetze. Was die da alles im letzten Jahr erhalten haben. Sehr viel mehr finanzielle Möglichkeiten. Also die kommen und bieten Geld und zwar deutlich mehr Geld und dann sind sie auch entsprechend erfolgreich.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Da ist natürlich auch so ein bisschen die Frage, wenn man das so sieht. Also ich bin seit 20 Jahren Fachanwältin für Medizinrecht, bin selbstständig hier in Hamburg und ich habe noch nie so viele Leistungserbringer vertreten, die sich gegen Patienten wehren. Also ich habe noch nie so viele Schreiben verschickt, nach dem Motto ich sage es mal ein bisschen salopp "Bitte mäßigen Sie sich". Hausverbote ausgesprochen, das volle Programm und man hat das Gefühl, man erreicht die manchmal auch argumentativ gar nicht mehr, weil die Erwartungshaltung der Patienten so weit weg ist von dem, was realistisch leistbar ist. Das finde ich ganz, ganz schwierig, einfach auch zu händeln.
(Dr Monica Schliffke) Das ist sehr schwierig zu händeln. Und es kommt ja dazu, dass unser Gesundheitsminister immer wieder betont "jeder Bürger hat Anspruch auf alles..." und das geht ja fast wöchentlich durch die Medien, dass das immer wieder gefordert wird. Nehmen Sie mal diesen Zusammenhang mit der Notfallgebühr, was mal vor einiger Zeit diskutiert wurde. Das sind so Anlässe, wo er immer wieder betont "jeder Bürger hat in unserem Land Anspruch auf alles und zwar sofort". Wir haben ja auch große Terminservicestellen einrichten müssen. Alles ist gesetzlich geregelt, um dieses Anspruchsdenken umsetzen zu können. Aber es hat eben auch diese gesellschaftliche Seite, dass die Menschen offenbar doch insgesamt unausgeglichener oder weniger ruhig und eben manchmal auch tatsächlich aggressiv werden.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Also ich finde, das ist ja auch was, was wir so in den Krankenhäusern sehen. Also als ich angefangen habe, da gab es eigentlich in keiner Notaufnahme einen Sicherheitsdienst. Inzwischen hat jedes Krankenhaus seinen Sicherheitsdienst personell mehrfach aufgestockt. Und ich hatte kürzlich mal so einen Rundgang durch eine Notaufnahme mit dem Chef eines Sicherheitsdienstes, um mir das einfach mal anzugucken, was da wirklich passiert. Und selbst wenn man tagsüber da ist, hat man das Gefühl, die Leute können ohne Unterstützung durch einen Sicherheitsdienst gar nicht mehr arbeiten, weil das so schwierig, so angespannt ist. Und das ist ja eine ganz gefährliche Entwicklung. Einfach, nee.
(Dr Monica Schliffke) Das ist es tatsächlich. Und so richtig hat noch niemand eine Lösung für dieses Problem. Also, in den Praxen finden natürlich durchaus auch Gespräche statt und dass man dämpfend auf die Menschen einwirkt. Aber es lässt sich in den nächsten Monaten sicher noch nicht in den Griff bekommen.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und wenn wir jetzt mal so auf die angekündigte Krankenhausreform – auch ja so ein Lieblingsprojekt unseres Gesundheitsministers – blicken, sehen Sie da irgendwo eine Chance, sozusagen für Niedergelassene? Oder sehen Sie da die Auswirkungen, wenn sie denn überhaupt spürbar sind, auch eher kritisch?
(Dr Monica Schliffke) Also die Krankenhausreform ist sicher ein sehr, sehr großes politisches Thema, was eigentlich schon vor vielen Jahren hätte angegangen werden müssen. Es liegen ja schon Gutachten seit mindestens Mitte der Zehner Jahre vor, wie man das gestalten sollte. Es hätte eigentlich dieser wissenschaftlichen Kommissionspapiere gar nicht bedurft, die ja zum Teil sogar auch noch mit falschen Zahlen hantieren. Aber es hat jetzt einen politischen Prozess wirklich in Gang gesetzt, der auch dann endlich mal in den nächsten Jahren zu Ende geführt werden muss. Das Gesundheitssystem bewegt sich eigentlich immer vom Krankenhaussektor in den ambulanten Sektor und dann in den pflegerischen hinein. Das ist sozusagen medizin-immanent. Zunächst mal muss man sich um die lebensbedrohlichen Dinge kümmern und dann kommen die akuten und chronischen und die Tagesangelegenheiten. Und so muss ich auch das System sortieren. Das heißt, wir warten sehr auf die strukturierte Reform bei den Kliniken, egal, worauf sich die Länder nachher einigen. Man hat ja mit Nordrhein-Westfalen jetzt tatsächlich einen wirklich guten Plan, von dem wohl alle auch überzeugt sind. Ich halte ihn auch für sehr gut. Und erst wenn wir dann wissen, wie es in den einzelnen Ländern umgesetzt wird, dann sortieren wir uns dazu. Wir sind auch schon in Gesprächen mit dem Land, wie man sich das dann wohl eines Tages vorstellen könnte.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber das klingt tatsächlich so, als würden Sie auch davon ausgehen, dass es noch sehr lange dauern könnte.
(Dr Monica Schliffke) Also ich schätze schon, dass dann noch zwei Jahre vielleicht mit dran sind. Wobei man auch nicht vergessen darf, dass viele Dinge auch parallel laufen. Wir haben uns ja eigentlich, was die intersektorale Versorgung anbetrifft, in den letzten Jahren sehr dicht an dem Sachverständigenratsgutachten von 2018 orientiert und da zum Beispiel auf die Leitstellen-Integration. Das ist ein Prozess, der jetzt schon in den letzten zwei Jahren läuft und eigentlich auf einem sehr guten Weg ist. Das sind Parallelprozesse, die ja lang laufen müssen. Oder denken Sie an die Notfallversorgung. Also Schleswig-Holstein hat zum Beispiel schon seit 2007 die Notfallpraxen an den Kliniken. Wir sind immer schon im engen Kontakt mit den Kliniken an diesen Standorten, sowohl für die allgemeinärztliche als auch für die kinderärztliche Seite. Wir hatten auch schon vor der Pandemie über integrierte Notfallzentren gesprochen. Alles Themen, die jetzt wieder akut werden, die aber quasi noch eine Ausführung und eine Ausprägung jetzt bedürfen, damit wir nachher im Konsens tatsächlich auch die Wege finden, wie wir die Alltagsrealität abbilden.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, dann haben wir noch eine Frage zur Vergütung, die wir gerne mit Ihnen besprechen möchten.
(Christiane Schmidt) Ja, und zwar ist ja die Ambulantisierung jetzt derzeit in aller Munde und da würde ich ganz gerne mal fragen: Sehen Sie die Vergütungssysteme des ambulanten und stationären Sektors als zu heterogen an?
(Dr Monica Schliffke) Tja, also die Vergütungssysteme sind nicht nur heterogen, sie sind sogar aus völlig verschiedenen Welten, muss man wohl sagen. Und die Pflege hat auch noch mal wieder ihre eigene Welt dazu. Man darf sich erinnern, dass es der jetzige Gesundheitsminister war, der vor 20 Jahren das DRG System für die Krankenhäuser eingeführt hat und der ja auch immerhin zehn Jahre Partner der letzten Regierung war und an dieser Systematik jetzt meint, etwas ändern zu müssen. Das ist sehr spät, aber immerhin, die Einsicht ist ja da. Es sind natürlich immer die Schnittstellen, die da besondere Probleme machen. Und am intensivsten machen sich diese Probleme bei den ambulanten Operationen bemerkbar, also am unmittelbaren Übergang stationär ambulante Behandlung.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Da ist auch gerade die Diskussion, die so durch die Presse gegangen ist mit den Mandeloperationen bei den Kindern, mit der Diskussion wie HNO, Ärzte... das fand ich ja auch immer in der Presse sehr reißerisch dargestellt.
(Dr Monica Schliffke) Ja, Sie wissen ja, dass über diese sogenannten Hybrid-DRGs auch sehr intensiv diskutiert wird. Da sollte eigentlich zum 31. März dieses Jahres ein dreiseitiger einvernehmlicher Beschluss herbeigeführt werden. Die GKV, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Bundesvereinigung, so die DKG, hat es in der letzten Woche platzen lassen, weil sie eben natürlich durch Umstellung eines Vergütungssystems in diesem Bereich am Ende Geld für ihre Häuser verliert. Und dass sie das nicht akzeptieren konnte, muss man irgendwo einsehen. Aber das löst das Problem noch nicht. Das Thema Hybrid liegt jetzt im BMG. Aber Herr Lauterbach hat schon verkünden lassen, vor 2024 möchte er sich nicht damit beschäftigen. Wir hoffen das eigentlich früher, weil das wirklich sehr, sehr dringlich ist, also bei denen. Weil sie eben die Hals Nasen Ohren Operationen ansprachen. Durch die Kostenexplosion und die Inflation sind die ambulanten Operationen in dem Bereich überhaupt nicht mehr kostendeckend. Im Gegenteil, da müsste jetzt zugebuttert werden. Und natürlich läuft keiner gerne in die Pleite. Und da haben wir schon gleich ein echtes Versorgungsproblem, denn wir gehen davon aus, dass die Kliniken das nicht zeitgerecht abfangen können, weil die eben auch unter erheblicher Personalnot in diesem Bereich landen. Also Wartezeiten von sechs Monaten haben wir auf diese Operation heute schon in den Kliniken. Und der Zustand wird sich möglicherweise noch verschärfen, wenn die ambulanten Operationen jetzt wegbrechen.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und trotzdem hat man letzte Woche eine Schlagzeile gehabt in der Presse Streik wegen 4 €. So, so, das findet man dann. Das ist doch sehr reißerisch, einfach dann aufgemacht und wird ja der Thematik auch gar nicht gerecht.
(Dr Monica Schliffke) Also die 4 €, die stammen aus dem letzten Jahr und wenn sie die Kosten inzwischen auffordern, dann sind da längst zehn oder 15 € im Minus. Also die Presse kann natürlich durch diese Vergütungssysteme auch nicht immer im Detail durchblicken und es ist ja auch für jede Operation noch wieder anders. Von daher ist mit 4 € gar nichts gesagt. Aber grundsätzlich ist es im Augenblick so: Die Kosten sind höher als die Honorare.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und trotzdem entsteht natürlich durch die Berichterstattung das Bild von Ärzten oder einer Facharztgruppe, die Kinder, die operativ versorgt werden müssen und ihre Eltern ein Stück weit im Stich lassen. Und es gibt ja auch schon erste Bestrebungen, wo Eltern dann aufgefordert werden, diesen Eingriff privat zu zahlen. Das haben wir ja auch schon. Also habe ich, kann ich aus anwaltlicher Perspektive tatsächlich sagen, dass es das auch schon gab und alle diese Diskussionen darum. Ja, aber ich glaube, es ist ein spannendes Thema, gerade was, was so die Kleinsten anbetrifft, auf deren Rücken natürlich ein Stück weit sowas dann auch ausgetragen wird.
(Dr Monica Schliffke) Ja, es gehört natürlich zur Medizin, dass man auf diesen Emotionen sich immer bewegen muss. Und da gibt es die Anschauung von der rechten, von der linken, von der oberen, von der unteren Seite, und die ist nicht immer gleich in Einklang zu bringen. Auf der anderen Seite muss man sich auch immer mal wieder bewusst sein, auf welchem Niveau wir mit unserem Gesundheitssystem international grundsätzlich liegen. Also niemand fragt nach den Kinder Hals Nasen Ohrenoperationen in England. Da kriegen sie nämlich gar keine. Und in Skandinavien ist es auch sehr schwierig. Also wir müssen das immer im Auge behalten. Was bei uns selbstverständlich ist, gilt nicht grundsätzlich für andere Gesundheitssysteme.
(Christiane Schmidt) Ich würde gerne eine Frage noch zur Planung stellen. Und zwar hat ja der stationäre und ambulante Sektor eigene Planungsstrukturen. Wie könnte man da zusammenkommen in Bezug auf die sektorengleiche Leistungserbringung und Vergütung?
(Dr Monica Schliffke) Auch das ist wieder eine Sache der intensiven Zusammenarbeit. Für die Krankenhausplanung sind ja die Länder zuständig und das ist der Prozess, in dem die Länder sich momentan befinden. Und wenn die sich sortiert haben zu diesem Thema, dann kommt die ambulante Bedarfsplanung dazu. Und im Augenblick sind ja durchaus Überlegungen im Gange, ob man die Fachärztlichkeit für bestimmte Fach... oder die fachärztliche Durchführung von Klinikleistungen im ambulanten Bereich, ob man die einbezieht mit in die fachärztliche Bedarfsplanung? Es gibt ja keine gemeinschaftliche Bedarfsplanung. Angesichts der Sektorentrennung ist das eben auch in den letzten 40, 50 Jahren nie nachgefragt worden. Aber wenn die Durchlässigkeit jetzt erhöht wird, dann muss man irgendwann entscheiden, zu wie viel Prozent zählen zum Beispiel ambulant tätige Operateure mit in den bedarfsplanerischen Bereich der Chirurgen? Oder machen sie es bei den Urologen oder bei den Gynäkologen, je nachdem, wie sich die ambulanten Leistungen der Krankenhäuser überhaupt entwickelt. Wir haben ja heute schon ein ausgeprägtes und auch sehr gut und weit und breit genutztes System der Ermächtigungen. Also Klinikärzte sind ermächtigt zur vertragsärztlichen Versorgung, insbesondere für ganz bestimmte Leistungen, die eben auch in der ambulanten Versorgung nicht breit vertreten sind. Das System hat sich ja über lange Jahre bewährt. Aber auch da ist wahrscheinlich ein Prozess drin, wie man das in vier, fünf, sechs Jahren dann auch mal auf eine andere Stufe stellt.
(Christiane Schmidt) Da ist meine Frage dann an dieser Stelle: Wie schätzen Sie das ein? Wie wird sich das Ganze entwickeln?
(Dr Monica Schliffke) Ich glaube, wenn die. Wenn die Politik nicht zu viel reinredet, würde sich das alles ganz gut entwickeln können. Mit der Voraussetzung, dass man sich jeweils auf Landesebene – und ich sage Landesebene – tatsächlich zu den wesentlichen Punkten einig wird. Also wir sehen es nach wie vor so und unsere Landesregierung auch. Versorgung ist regional. Man kann gewisse Dinge zentralisiert gestalten und auch zentralisiert steuern. Für die ambulante Versorgung gilt das ja sogar in sehr, sehr hohem Maße, weil wir durch das SGB fünf gesteuert werden. Und wir müssen versuchen, diese Prozesse ineinander zu bringen. Die Diskussion um teilweise Schließungen von Abteilungen in bestimmten Kliniken zieht dann ja auch wieder die Frage nach sich: Wie viel fachärztliche Versorgung kann denn dann im ambulanten Bereich übernommen werden? Und diese Fragestellung sind sicher nicht auf Bundesebene zu lösen, weil Hamburg und Schleswig Holstein oder Brandenburg und Berlin sich natürlich extrem unterscheiden und man immer nach der Notwendigkeit der Region schauen muss.
(Christiane Schmidt) Aber das Problem von Schließungen von Abteilungen ist ja schon ein bekanntes Problem, das sich auch schon eine Weile manifestiert hat in den Kliniken.
(Dr Monica Schliffke) Ja durchaus, aber noch nicht auf dem Level, der notwendig wäre. Auch da, wenn Sie wieder den internationalen Vergleich anschauen, dann haben wir immer noch deutlich zu viele Angebote und wir haben auch immer noch grundsätzlich im Vergleich immer noch viel zu viel Ärzte pro 100.000 Menschen Bevölkerung, also zum Beispiel das Dreifache von dem, was Frankreich oder Holland oder ein anderes westeuropäisches Land hat. Nur für uns sind das so Selbstverständlichkeiten. Das wiederum führt zu dem Punkt: Wir sehen ja, dass die Anzahl der Ärzte zumindest im niedergelassenen Bereich auch zurückgehen wird. Oder die Arbeitszeit wird zurückgehen. Die Köpfe werden wir dann irgendwann auch nicht mehr so in dieser Menge haben, sodass wir uns auch anders sortieren müssen in der Organisation der Patientenversorgung. Also wir sprechen im Augenblick sehr viel über Delegationsleistungen, über die neuen akademisierten Fachberufe, die wir gerne in die Praxen mit einbauen würden. Aber da stoßen wir auch schon wieder auf die politische Grenze. Denn die Politik will im Moment, dass diese Fachkräfte in die Kommunen gehen und nicht in die Praxen. Also auch da ist noch sehr viel Diskussionsstoff dahinter, wie 2030 zum Beispiel dann die ambulante Versorgung aussieht.
(Christiane Schmidt) Ja, das wäre meine Frage jetzt gewesen. Was müsste denn perspektivisch geschehen, um die Verhältnisse zu verändern und zu verbessern?
(Dr Monica Schliffke) Ja, das kommt aber darauf an, wie man das sieht. Denn diese Frage müssten Sie eigentlich Herrn Lauterbach stellen. Denn natürlich entscheidet am Ende eine Bundesregierung, eine gewählte Bundesregierung, über ein Gesundheitssystem. Wie der Staat aufgestellt sein soll. Und da merken Sie ja jetzt schon, oder? Wir sehen es in den letzten zwei Jahren, dass die Vorstellung sich deutlich von dem unterscheiden, was wir noch vor fünf, vor zehn oder vor 20 Jahren hatten. Die ambulante Versorgung hat im Moment ganz stark den Eindruck, dass man sie wegrationalisieren will, und zwar so in Richtung, sagen wir mal, Holland. Hausärztin gibt es noch in der Fläche und fachärztliche Versorgung gibt es dann nur noch an Kliniken. Das ist die politische Tendenz, die sich artikuliert. Das wird im Augenblick sogar unterstützt durch Positionspapiere aus der SPD und auch aus der grünen Seite. Und wenn Sie das Ganze dann noch verkoppeln mit dem Thema Bürgerversicherung, dann kann man sich durchaus vorstellen, in welche Richtung das geht. Also meine politische Ansicht dazu ist zumindest, dass man sehr deutlich im Augenblick sieht, dass unser Staat auf ein zentralisiertes staatliches Gesundheitswesen hinaus will und dass er die Selbstständigen, die inhabergeführten Praxen, immer mehr zurückdrängen wird. Und das merken die Kollegen auch sehr deutlich. Ja.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und wenn sie sich was wünschen dürften, meinetwegen von der Politik oder auch von unserem Gesundheitsminister vor dem Hintergrund Ihrer Kolleginnen und Kollegen in der Fläche. Was würden Sie sich wünschen? Was wäre so das, was dringend angegangen werden muss.
(Dr Monica Schliffke) Also dringend angegangen werden muss? Tatsächlich die Interpretation der Ziele, die die Politik will. Man kann sich auf alles einstellen und wir leben in einem demokratischen Staat. Und wenn unsere Menschen diese oder diese Regierung wählen, dann ist das ihr Wille und man muss aber eigentlich wissen, wo man hin will. Und das wird im Augenblick überhaupt nicht artikuliert. Also alle fragen sich: Wie wird das Gesundheitssystem 2030 sein? Und wir haben im Augenblick keine Antworten dazu. Aber wir erwarten sie von der Politik, wir mahnen sie an, wir fordern sie sogar, aber wir bekommen sie bisher nicht.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber es ist wie überall. Wenn ich nicht weiß, wo ich hinmöchte, dann ist es natürlich auch schwer, die Leute auf diesem Weg mitzunehmen und sie auch zu motivieren, da mitzugehen. Also Orientierung fehlt und vielleicht auch so ein bisschen Strategie. So haben wir sie verstanden?
(Dr Monica Schliffke) Ja, obwohl das durchaus auch geht. Wir haben im Moment ein recht gutes Beispiel im Hamburger Randbereich im Pinneberger Raum. Da wird diskutiert, dass man zwei Kliniken, die jetzt etwa 30 Kilometer auseinander liegen, quasi zu einer fusioniert. Und zwar nicht nur fusioniert, sondern komplett neu baut. Also beide Kliniken würden irgendwann platt gemacht und man hat dann sogar dicht an einer Autobahnausfahrt dann irgendwann in zehn Jahren eine neue Klinik. Der Kreis und auch unsere Landesregierung hat diesen Prozess sehr intensiv mit der Bevölkerung besprochen. Es gibt ja keine Volksabstimmung bei uns. Aber die Reaktionen der Bevölkerung, die Reaktionen der Presse, das hat alles sehr mit dazu beigetragen, dass es ein breit getragener Prozess in dieser Region ist. Also die Menschen sind überzeugt worden, dass es der richtige Weg, auch wenn dafür eine Klinik an einem Standort völlig wegfällt.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber das zeigt ja im Endeffekt, dass Kommunikation und auch eine gewisse Transparenz das ist, was am ehesten helfen kann dann.
(Dr Monica Schliffke) Genau. Ja, und diese Mühe muss die Politik sich geben. Die gegenteiligen Beispiele gibt es genauso zum Beispiel aus dem Schließungsbereich der Geburtshilfen. Da ist ja auch schon sehr viel passiert in dem Bereich. Wenn man dann so Fernsehbilder von Schwangeren auf einer Demonstration sieht, dann kommt das nicht besonders gut. Also da hat man dann schon den Eindruck, da hat niemand erklärt, worum es eigentlich geht.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, aber das ist, glaube ich, ein generelles Problem, dass man so mit Erklärungen eher sparsam umgeht. Das sehen wir, glaube ich, auch in anderen Bereichen.
(Dr Monica Schliffke) Ja, das ist durchaus so! Nun ist manches ja auch sehr komplex und im Gesundheitswesen ist es ja nun auch noch besonders komplex. Sagen wir mal so. Es ist nicht so einfach, alles den Menschen zu erklären, aber man muss sich doch immer wieder Mühe geben und in vielen Dingen klappt es dann eben auch. Na ja, und ich finde, gerade weil es komplex ist und gerade weil das Gesundheitswesen etwas ist, was die Leute ja auch emotional sehr berührt, ist doch eine Erklärung vielleicht umso wichtiger. Sagt ja keiner, dass es einfach ist. Aber vielleicht muss man sich gerade deswegen besonders viel Mühe geben. Ja, also in meinem Bereich wird das zum Beispiel gemacht in Bezug auf die fehlenden und offenen Hausarztstellen. Ich bin also durchaus sehr viel in Kommunen unterwegs, in Sozialausschüssen, um auch den Hintergrund dieser Planung alleine bekannt zu machen und dann den Kommunalpolitikern auch zu erklären, warum wir denn im Moment keine Leute dafür finden. Also wir haben zum Beispiel eine Stadt mit einer Bevölkerung von 30.000, 35.000 Einwohnern mit Umkreis. Wir haben elf offene Hausarztstellen in diesem Bereich. Und dann heißt es natürlich gleich: Ja, die KV, die hat doch den Sicherstellungsauftrag. Jetzt mach doch mal was. Wir haben für diesen Bereich alleine im letzten Jahr mit vier Kollegen Gespräche geführt, die ein grundsätzliches Interesse hatten, sich auch dort niederzulassen. Alle vier sind abgesprungen. Die Situation ist einfach zu unsicher im Moment, dass die gesagt haben: Nein, wir bleiben an der Klinik. Da habe ich meinen sicheren Job, habe mein sicheres Einkommen. Ich muss mich nicht um Personal kümmern, um sonstige Dinge. Und sie haben dann am Ende wieder Nein gesagt.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Naja, ist sicherlich aus menschlicher Perspektive total nachvollziehbar, aber natürlich für die Versorgung eine Katastrophe.
(Dr Monica Schliffke) Genau. Und diese Stimmung, die dann entsteht, führt natürlich dazu, dass man ein gesteuertes, ein staatlich gesteuertes, Gesundheitswesen analog den Lehrern, denen Sie ja auch sagen können: Sie müssen jetzt demnächst dort arbeiten... dass man so etwas durchaus in der Politik oder in der Bevölkerung dann auch umsetzen kann. Da braucht nur der richtige Politiker zu kommen und sagen: Ihr seht doch, mit dem jetzigen System ist niemand in euren Bereich gekommen, also werden wir das Ganze mal ändern. Und dann wird da jemand abgeordnet.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, und dafür gibt es ja die Selbstverwaltungsorgane, die dann dafür sorgen, dass es so weit vielleicht gar nicht kommt.
(Dr Monica Schliffke) Ja, aber wie lange werden die noch existieren?
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, da sind wir jetzt erstmal optimistisch, dass so Leute wie Sie, die uns hier so transparent die Problematik erklärt haben, ihr Möglichstes geben, dass das nicht passiert. Denn ich meine, wir sehen ja auch in anderen Ländern, wie ein zentralisiertes System funktioniert oder auch nicht funktioniert. Also da müssen wir ja gar nicht so weit gucken. Also es sollte uns schon lieb und teuer sein, was wir haben. Und ich glaube, es ist wie mit allen Dingen Das was man hat, schätzt man nicht wert.
(Dr Monica Schliffke) Da ist ein Problem drin. Deshalb müssen wir es auch immer wieder sagen: Schaut euch den internationalen Vergleich an. Was haben wir? Auch mit dem Fachkräftemangel – wir müssen uns darauf einstellen. In fünf Jahren ist es so und so. Da sollte man keine Geheimnisse behalten oder keine großen Versprechungen machen, sondern wirklich sehr klar und transparent der Bevölkerung auch sagen: Es wird nicht anders werden. Es ist auch im Gesundheitsbereich nicht anders als in anderen Berufsbereichen. Schauen Sie sich die Hotellerie, die Gastronomie an, da haben wir dieselben Prozesse. Aber die Gesundheit ist eben immer noch etwas, was die Menschen sehr emotional und sehr intensiv betrifft. Von daher ist das Thema so brisant. Immer.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, also ich glaube, wir kommen zum Schluss. Christiane, hast du noch eine Frage, die dir unter den Nägeln brennt? Die Chance kommt nie wieder einen so kompetenten Gesprächspartner alles zu fragen, was wir gerne wissen möchten.
(Christiane Schmidt) Ja, vielleicht an der Stelle noch. Sie sind ja darauf eingegangen, auch welche Erwartungen an die Politik gerichtet werden. Und wir haben ja auch gesehen, dass im Grunde die KV und auch Ärzte bekundet haben und ihre Forderungen an die Politik gerichtet haben. Sehen Sie da eine Chance, da dann auch etwas zu bewirken oder wird das verpuffen?
(Dr Monica Schliffke) Also ich bin Optimist von Haus aus und glaube immer, dass man irgendetwas bewirken kann. Man muss nur in vielen Dingen sehr hartnäckig sein. Wir kämpfen im Moment tatsächlich gegen, ich nenne es durchaus: Ignoranz. Also die ambulante Versorgung scheint für die Politik nicht zu existieren. Das heißt, wir müssen uns da sehr bemerkbar machen mit allen Problemen, die da sind. Nehmen Sie das Thema Digitalisierung. Wir wissen alle deutlich, dass es kommen muss, dass die Strukturen verändert werden müssen, dass wir auch da eine deutlich verbesserte, bessere Vernetzung mit den Kliniken brauchen, mit der Pflege brauchen. Aber die technischen Probleme sind immer noch so groß, dass die Praxen quasi jeden Tag die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Gleichzeitig werden sie aber mit Sanktionen belegt. Also da sind so viele Dinge, die nicht zusammenpassen. Wenn man uns ein bisschen mehr selbst machen ließe und uns nicht so viele Vorgaben jeden Tag übersenden würde, dann wären wir, glaube ich, schon längst viel weiter.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Das ist doch ein wunderbares Schlusswort. Das nehmen wir als Appell an die Politik einfach mal mit. Und ja, ich glaube, das ist, was Sie jetzt gemacht haben: Uns so transparent die Probleme darzustellen. Das ist, glaube ich, für alle, die das hören, auch ganz prima. Mal quasi jemanden zu haben, der dies ganz unaufgeregt, sachlich auf den Punkt bringt. Weil das fehlt mir persönlich ganz oft in der Berichterstattung in der Presse, dass es eben immer so sehr emotional ist, dass man so mal gleich die Emotionen da mit reinbringt. Und sie haben das so prima sachlich eingeordnet. Dafür sind wir ihnen sehr, sehr dankbar und haben uns sehr gefreut, dass sie ihre Zeit uns geschenkt haben. Wir haben jetzt eine eine gute halbe Stunde, glaube ich einen Einblick bekommen, den sonst unsere Studierenden nur durch das Lesen sehr vieler Studienbriefe, Fachliteratur und Presse bekommen. Insofern ist das ganz, ganz toll, dass sie das gemacht haben. Wir sagen ganz, ganz herzlichen Dank und würden uns freuen, wenn wir vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt mit etwas Abstand noch mal reflektieren, ob sich vielleicht doch irgendwas in die richtige Richtung verändert hat.
(Dr Monica Schliffke) Ja, ich danke Ihnen. War eine nette Runde und stehe Ihnen gerne auch weiter zur Verfügung.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Vielen Dank.
(Christiane Schmidt) Danke schön.

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