Transkript Konfliktfelder in der ambulanten Versorgung
(Prof Dr Birgit Schroeder) Herzlich willkommen zu einer neuen Folge. Ich freue mich sehr auf eine Gesprächspartnerin, die Sie möglicherweise auch alle schon von Social Media kennen oder von Ihrer Tätigkeit als Autorin. Frau Dahlhaus ist heute bei uns und ich würde Sie einfach bitten, sich einmal selber vorzustellen.
(Laura Dahlhaus) Ja, vielen Dank für die Einladung, habe mich sehr gefreut. Laura Dahlhaus, noch 41 Jahre alt, im ersten Leben Chirurgin, mittlerweile begeisterte Hausärztin. Ich stolpere seit vielen Jahren über Möglichkeiten und Grenzen unseres Gesundheitssystems. Rege mich darüber immer mal wieder auf und habe mir verschiedene Medien gesucht, um dieser Aufregung auch einfach mal Raum zu geben. Und das ist mal ein Buch geworden, deshalb Autorin, ja. Und eben auch Social Media auf den bekannten Kanälen.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, und wir freuen uns sehr, dass Sie Zeit haben und so ein bisschen Einblick zu geben in die ambulante Versorgung und was da vielleicht nicht so läuft, wie man sich das vorstellen würde. Das heißt, wir wollen heute so ein bisschen einen Blick in die ambulante Praxis wagen. Und mich würde am Anfang tatsächlich mal interessieren, so aus Ihrer ganz persönlichen ärztlichen Erfahrung: Wo hat denn die ambulante Versorgung besondere Probleme?
(Laura Dahlhaus) Ja, direkt die komplexeste Frage zum Anfang. Also das hat mehrere Ebenen. Die eine Ebene ist ganz klar: Wir werden alle immer älter und wir werden alle mit Krankheiten immer älter. Und da ist schon ein grundlegendes Systemproblem. Die ambulante Versorgung wird ja über eine Bedarfsplanung organisiert. Und diese Bedarfsplanung ist schon extrem alt. Die richtet sich nach den Einwohnern. Und wenn Sie 1980 eine Bedarfsplanung von 100 % haben und Sie legen den gleichen Maßstab heute an und haben auch immer noch eine Bedarfsplanung von 100 %, dann ist in diesen Zahlen nicht berücksichtigt, dass sich die Anzahl der Arztkontakte für den einzelnen Patienten verdrei-, vervierfacht hat und die Patienten heute einfach sehr, sehr viel älter werden und eben mit Krankheiten älter. Also die Bedarfsplanung spiegelt schon nicht mehr die Realität wider. Das ist Punkt 1. Punkt 2 ist, das ist auch nicht neu, und da kann man jetzt ein bisschen Professor Ferdinand Gerlach zitieren, der ja, ich sag mal, der Gesundheitswissenschaftler und langjähriger Berater diverser Bundesregierungen war: Wir haben eine doppelte Fehlverteilung in der ambulanten Versorgung. Wir haben zu viele Spezialisten und zu wenig Allgemeinärzte. Und wir haben zu viele Ärzte in der Stadt und zu wenig auf dem Land. Und diese beiden Faktoren zusammengenommen, also A) eine doppelte Fehlverteilung und B) eine, ich sage mal, Korrelation, zwischen Anzahl der Arztkontakte und Patientenanzahl und Anzahl der Ärzte geht dann irgendwann nicht mehr auf. Und am Anfang mag das noch kompensierbar gewesen sein durch einen höheren Arbeitseinsatz. Aber im Sinne einer exponentiellen Kurve kann man das irgendwann nicht weiter optimieren. Und da sind wir jetzt.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Das heißt, wir sprechen ja auch gerade in der ambulanten Versorgung und gerade im ländlichen Raum ja auch ganz häufig von Versorgungsengpässen. Das können Sie wahrscheinlich sofort so unterschreiben.
(Laura Dahlhaus) Unbedingt, ja. Es ist nicht überall der gleiche Engpass, aber es gibt Dinge, die sich häufen. Also der der Klassiker ist eigentlich überall Kinderheilkunde. Wenn Sie dann in in die spezialfachärztliche ambulante Versorgung schauen, so was wie Rheumatologie bekommen sie gar nicht mehr. Oder wenn mit Wartezeiten, die aberwitzig anmuten, über ein Jahr, anderthalb Jahre oder? Ja, rufen Sie in einem Jahr noch mal an, vielleicht nehmen wir dann noch mal was auf. Und es greift aber zunehmend auch in die allgemeinen fachärztliche Versorgung, das heißt Gynäkologie, Neurologie, Dermatologie, also Hautarzt. Und wenn, dann natürlich der Hausarzt, ich sage mal so ein bisschen lapidar, als erster und letzter Ansprechpartner in medizinischen Fragen auch noch wegbricht, dann haben wir wirklich die Situation, dass Patienten gar nicht mehr versorgt werden und die Situation, dass es keinen Ansprechpartner mehr gibt. Das kann man auch schon hier zum Teil beobachten, bestimmte Flächen in der Eifel, bestimmte Flächen in Mecklenburg Vorpommern, Thüringen. Ja, das gibt es heute schon.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und wenn Sie jetzt mal gucken, Sie haben gesagt, Sie sind ja auch schon ein paar Jahre dabei. Was hat sich denn so aus Ihrer ganz persönlichen beruflichen Erfahrung verändert, wenn Sie mal an den Anfang und an Ihre jetzige berufliche Tätigkeit denken?
(Laura Dahlhaus) Ökonomisierung hat immer eine Rolle gespielt in meiner ärztlichen Tätigkeit. Ich bin seit 2009 als Ärztin tätig, aber das hat jetzt auch die Spitze erreicht. Das muss man so verstehen, dass Krankheiten einen Wert haben. Und damit ist die Gesundheitsversorgung zu einem Markt geworden, wo es lukrative Krankheitsbilder gibt und weniger lukrative. Und dieser Markt ist dann auch noch in Teilen privatisiert und, ich sag mal, für externes Geld geöffnet worden. Stichwort Private Equity. Und dann haben sie eine Situation der Rosinenpickerei. Das heißt, dass plötzlich ein Angebot entsteht, wo der Bedarf gar nicht da war. Beispiel Hamburg hat mehr Herzkatheter-Plätze als ganz Österreich. Das liegt natürlich nicht daran, dass die Hamburger so unglaublich herzkrank sind. Das ist ja Quatsch. Und in Österreich ist es auch nicht so, dass die Österreicher sagen, wir brauchen unbedingt mehr Plätze, weil der Weg zum Herzkatheter-Labor ist so lang. Aber wenn Sie viel Geld in eine Technik gesteckt haben, dann wollen Sie diese Plätze auch bespielt haben. Und das zeigt sich dann im medizinischen Fortschritt. Das geht mit Koro-Laboren so, das geht mit dem Pet-ct, das geht mit dem MRT so Wir haben den technischen Fortschritt anhand des Smartphones alle in unserer Hosentasche. Die gleiche Entwicklung hat in der Medizin stattgefunden und mit dann muss mit diesen Geräten auch Geld verdient werden. Und das ganze mit solidarisch erwirtschafteten Krankenkassenbeiträgen. Das wird dann irgendwann schwierig.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und dazu kommt noch, dass der Patient es ja auch gar nicht mit beurteilen kann. Der ist ja dem Ganzen auch so ein stückweit ausgeliefert und hat sicherlich auch das eine oder andere Mal vielleicht auch so eine gewisse Anspruchshaltung auf der anderen Seite, was er gerne alles hätte.
(Laura Dahlhaus) Ja, genau. Also ich kann aus eigener Praxis berichten, kann man ja auch offen sagen: Ein Fall, der für uns nicht so optimal gelaufen ist, eine Patientin sich auch nicht gut behandelt gefühlt hat, muss man in dem Sinne vielleicht sagen, also zu schlecht erklärt mit Rückenschmerzen. Ja, Bandscheibe haben wir auch so formuliert. Schmerzmittel, Physiotherapie? Ja, MRT müssen wir auch machen. Das Ganze zieht sich im ambulanten Sektor natürlich hin. Die Patientin hatte irgendwann den Kaffee auf. Ist am Wochenende ins Krankenhaus gegangen. Massiver Bandscheibenvorfall und ist direkt operiert worden. So, das führte dazu, dass sie extrem ungehalten war und sich bei uns extrem schlecht behandelt gefühlt hat. Nach dem Motto: Das war ja wohl so schlimm, dass man mich direkt operiert hat. Ähm, das müssen wir so aushalten. Das ist auch völlig in Ordnung. Unterm Strich muss man aber sagen: Die wenigsten Bandscheibenvorfälle müssen operiert werden. Und einen Bandscheibenvorfall zu operieren, ohne überhaupt mit Physiotherapie und einer vernünftigen Analgesie angefangen zu haben, bei ich sag mal keinen neurologischen Ausfällen, also da würde ich als Patient mich niemals unters Messer legen. Aber das Angebot ist da, der OP muss laufen und Wirbelsäulenchirurgie, Wirbelsäulenoperationen sind extrem lukrativ und dann passiert halt sowas. Das ist schwierig. Und das natürlich einem Patienten zu erklären, zu vermitteln, der ja auch direkt betroffen ist. Also wir beide können uns jetzt locker flockig über so einen Fall unterhalten. Wenn einer von uns aber jetzt hier mit den starken Rückenschmerzen sitzen würde, dann würde uns das schon deutlich schwieriger fallen. Das heißt, Sie haben ja auch immer diese unglaubliche Abhängigkeit zwischen Arzt und Patient. Der eine, der das Wissen, ich sag mal, so ein bisschen die Weisheit mit Löffeln gefressen hat. Und der Patient, der auf das Wissen gnadenlos angewiesen ist und dann ja auch noch in einer hilflosen Situation... das macht es ganz, ganz schwierig.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, also ich mache seit 20 Jahren auch Haftungsrecht hier in Hamburg und so ein Fall, wie Sie ihn eben skizziert haben... Wenn der dann schief geht bzw wenn der Patient nach der OP dann unzufrieden ist, dann rennt er aber zum Anwalt und sagt: Viel zu früh operiert. Hätte man länger konservativ versuchen müssen. Stichwort Aufklärungspflichtverletzung. Also das hat ja viele Facetten und da nützt es der Klinik gar nichts, dass sie es operiert haben und ihren OP ausgelastet haben, sondern dann haben sie möglicherweise noch noch ein Haftungsverfahren. Wie das dann ausgeht und was dann Sachverständiger sagt, das steht dann auf einem ganz anderen Blatt. Aber auch das ist ja etwas, was wir zunehmend sehen. Wenn Patienten unzufrieden sind und sich nicht gut behandelt fühlen,ob das so ist, ist immer eine andere Frage. Dann ist ja inzwischen auch die Bereitschaft zum Anwalt und oder zur Presse oder zur Staatsanwaltschaft zu rennen, durchaus gegeben.
(Laura Dahlhaus) Unbedingt. Und deshalb: Das ist mit ein Grund, warum ich mich so aufrege und über Social Media auch den Weg an die Öffentlichkeit gesucht habe. Weil es werden immer mehr Patienten, und machen wir uns nichts vor – wenn ich immer mehr Patienten behandeln muss, dann muss ich die Patienten in immer kürzerer Zeit behandeln und dann kriege ich irgendwann ein Qualitätsproblem. Und ich organisiere mir quasi schon ja, mit Einladung, ein Übernahmeverschulden. Gleichzeitig zeitig sagen aber die Regelung der Kassenärztlichen Vereinigung: Nein, Annahmestopp dürfen Sie nicht machen, Frau Dahlhaus. Sie sind ja eine Hausarztpraxis, und das ist natürlich das nächste Dilemma. Man fühlt sich schon sehr allein gelassen mit der großen Menge der Patienten, die, wie gesagt, mit Krankheiten, mit komplexer Medikation immer älter werden. Und das Hamsterrad dreht sich immer schneller, immer weiter. Das heißt, ich bin wirklich gezwungen, auch um wirtschaftlich zu überleben, immer mehr Patienten in immer kürzerer Zeit zu behandeln und die Wahrscheinlichkeit von Fehlern, für die ich juristisch, finanziell und moralisch voll verantwortlich bin, die steigt. Und gefühlt, dass jetzt mein Gefühl, ist es aber der Politik, ich sage mal sehr, sehr grob, scheißegal und sagt: Ja, Frau Dahlhaus sind ja Ärztin, Sie haben sich den Beruf ausgesucht, Müssen Sie mal mit leben.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, also als Juristin würde ich das sofort so unterschreiben. Und es ist eben nicht so, dass man argumentativ dann so vorgehen könnte, wenn man jetzt einen niedergelassenen Leistungserbringer, also meinetwegen wirklich einen Hausarzt vertritt, dass man sagt, na ja, der hat ja auch nur, was weiß ich, sechs Minuten pro Patient oder zwei Minuten in der konkreten Situation gehabt, das ist dann plötzlich egal, weil sie schulden dann tatsächlich eine lege artis Behandlung standard-entsprechend mit allem, was dazugehört. Und ob Sie das theoretisch überhaupt leisten können, das interessiert in der konkreten Situation dann tatsächlich niemanden. Da sind Sie dann ganz alleine mit Ihrer Versicherung und haften juristisch eben für das, was dann möglicherweise schief gegangen ist.
(Laura Dahlhaus) Genau. Und deshalb muss man sagen, wir bekommen immer weniger Kollegen im System, weil die halt nicht mehr bereit sind, diese Rahmenbedingungen zu akzeptieren. Und die Kollegen, die im System sind, die möchten in der Mehrzahl gerne angestellt arbeiten, aus verschiedensten Gründen. Und das System ist aber ehrlicherweise auf den einzelnen freiberuflich niedergelassenen selbständigen Arzt angewiesen, weil, ich habe jetzt gelesen, dass auch der Marburger Bund nun für ambulant angestellte Ärzte gerne einen Tarifvertrag aushandeln möchte. Also wenn ich die Löhne an angestellte Ärzte bezahlen soll, die die im Krankenhaus bekommen, dass da stammte ja mal aus Zeiten, dass man gesagt hat, der niedergelassene Hausarzt soll so viel verdienen wie ein Oberarzt im Krankenhaus. Die Zeiten sind lange vorbei. Und deshalb glaube ich auch nicht, wenn jetzt die Politik sagt: Ja, gar kein Problem, es gibt immer weniger Hausärzte – ach, da machen wir einfach mvz. Die sind am Krankenhaus angegliedert und stellen da Ärzte an, das halte ich für völlig naiv. Ein Zumal man ja auch wenn man sich zum Beispiel die die Arbeitsverträge von Ärzten anschaut, die an Mvz tätig sind, das ist ja keine, ich sage es mal vorsichtig keine freie ärztliche Entscheidung mehr, die da getroffen wird, sondern es wird ja vom vom Mvz Träger da sehr stark gesteuert, wie Medizin auszusehen hat, was sie verkaufen müssen an Igeleistungen, welche Zielvorgaben sie sie erreichen müssen. Genau. Und deshalb muss man sagen, wir bekommen immer weniger Kollegen im System, weil die halt nicht mehr bereit sind, diese Rahmenbedingungen zu akzeptieren. Und die Kollegen, die im System sind, die möchten in der Mehrzahl gerne angestellt arbeiten, aus verschiedensten Gründen. Und das System ist aber ehrlicherweise auf den einzelnen freiberuflich niedergelassenen selbständigen Arzt angewiesen, weil, ich habe jetzt gelesen, dass auch der Marburger Bund nun für ambulant angestellte Ärzte gerne einen Tarifvertrag aushandeln möchte. Also wenn ich die Löhne an angestellte Ärzte bezahlen soll, die die im Krankenhaus bekommen, dass da stammte ja mal aus Zeiten, dass man gesagt hat, der niedergelassene Hausarzt soll so viel verdienen wie ein Oberarzt im Krankenhaus. Die Zeiten sind lange vorbei. Und deshalb glaube ich auch nicht, wenn jetzt die Politik sagt: Ja, gar kein Problem, es gibt immer weniger Hausärzte – ach, da machen wir einfach mvz. Die sind am Krankenhaus angegliedert und stellen da Ärzte an, das halte ich für völlig naiv. Ein Mvz mit lauter angestellten Ärzten, die jede Überstunde dokumentieren, das ist nicht zu finanzieren. Das ist aus meiner Sicht dann wirklich der Tod der ambulanten Versorgung, wie wir ihn heute kennen. Geschweige denn jetzt aus Sicht einer Hausärztin, die sieben Altenheime mit betreut. Dass dann der Hausbesuch bei Oma Hertha, weil die mal wieder dicke Beine hat wegen ihrer Herzerkrankung, dass der dann noch möglich ist – das ist völlig ausgeschlossen und Politik müsste sich da einfach mal ehrlich machen. Also ich kann in allen Strukturen arbeiten, ich arbeite gerne selbstständig. Wenn man mir sagt, der selbstständige Beruf ist nicht mehr gewünscht, dann kann ich argumentativ dagegenhalten. Wenn man sich aber dann in Wahlen für entsprechende Konzepte entscheidet, kann ich mich auch irgendwo anstellen lassen. Habe gar keinen Stress damit. Aber ich bin der festen Überzeugung, wir müssen in der Lage sein, vernünftige Medizin zu machen. Und das können wir heute nicht mehr.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Zumal man ja auch, wenn man sich zum Beispiel die Arbeitsverträge von Ärzten anschaut, die an MVZ tätig sind, das ist ja keine, ich sage es mal vorsichtig, keine freie ärztliche Entscheidung mehr, die da getroffen wird, sondern es wird ja vom vom Zumal man ja auch wenn man sich zum Beispiel die die Arbeitsverträge von Ärzten anschaut, die an Mvz tätig sind, das ist ja keine, ich sage es mal vorsichtig keine freie ärztliche Entscheidung mehr, die da getroffen wird, sondern es wird ja vom vom Mvz Träger da sehr stark gesteuert, wie Medizin auszusehen hat, was sie verkaufen müssen an Igeleistungen, welche Zielvorgaben sie sie erreichen müssen. Zumal man ja auch wenn man sich zum Beispiel die die Arbeitsverträge von Ärzten anschaut, die an Mvz tätig sind, das ist ja keine, ich sage es mal vorsichtig keine freie ärztliche Entscheidung mehr, die da getroffen wird, sondern es wird ja vom vom Mvz Träger da sehr stark gesteuert, wie Medizin auszusehen hat, was sie verkaufen müssen an Igeleistungen, welche Zielvorgaben sie sie erreichen müssen. Das heißt, es ist ja völlig unattraktiv für ein Mvz, beispielsweise ein Alten und Pflegeheim zu betreuen. Die wollen ja eigentlich viel lieber Igel Leistungen an den Mann bringen.
(Laura Dahlhaus) Ja, und das meine ich eben. Also da müssen wir uns eben mal alle an die eigene Nase fassen als Bürger, Wähler, Steuerzahler, Patienten, wie auch immer. Wir müssen uns überlegen, welche Medizin wir in unserem Land wollen. Und aktuell bedienen wir eben einen Markt und versorgen nicht den Bedarf der Bevölkerung, sondern einen nur in Teilen regulierten Markt. Ich spreche mich jetzt hier nicht für eine volle Verstaatlichung aus. Also England ist sicherlich kein Vorbild, aber es gibt ja schon Möglichkeiten der Bedarfsplanung auch im stationären Sektor. Und ich weiß, es ist eine harte Diskussion, aber wir müssen sie aus meiner Sicht führen, weil die Kosten sind nach oben offen. Das sind zwei Punkte. Das ist einmal das Thema Entwicklung moderner Medikamente. Also wir sind ja mittlerweile ,nehmen Sie das Beispiel Mammalkarzinom. Da kann man mittlerweile die Oberflächenmoleküle des Brustkrebses identifizieren und Sie kriegen eine hoch individualisierte Chemotherapie, wenn der Tumor Chemotherapie sensibel ist. Die Entwicklung immer individualisierterer Therapien, die schreitet voran. Die Medikamente werden immer, immer teurer, weil entsprechend Forschung da drinsteckt. Und das muss irgendwie bezahlt werden. Das ist Punkt 1. Und Punkt 2 ist auch ethisch schwierig, aber trotzdem müssen wir aus meiner Sicht diese Fragen stellen: Wir wissen, dass die teuersten Erkrankungen eines Menschen seine letzten sind. Und ich sage jetzt mal von meinem letzten Notdienst... eine Patientin, die ich so nicht kannte. Also es war nicht bei uns im Ort – Fahrdienst. 85 Jahre mit einem Pankreaskarzinom, also mit einem Bauchspeicheldrüsenkrebs. Es war alles relativ schwierig und dann habe ich gefragt, ob sie denn palliativ eingeschrieben ist, also im Rahmen eines Palliativdienstes. 85 Jahre Bauchspeicheldrüsenkrebs. Nein, auf gar keinen Fall. Das sei nicht palliativ und sie würde auch noch eine Chemotherapie bekommen. Okay, ich lasse das dann so unkommentiert. Aber, und ich meine, das könnte auch eine Lehre aus der Pandemie sein, dass wir den Blick mal weg von – ich werde jetzt sehr populistisch – aber dass wir den Blick mal weg von der Rettung der 90-jährigen Altenheimbewohnerin richten, hin auf: Was brauchen denn unsere Kinder? Denn die Diskrepanz zwischen der der Verfügbarkeit einer medizinischen Versorgung für unsere Hochbetagten und der Verfügbarkeit der medizinischen Versorgung für unsere Jüngsten – das divergiert so maximal, dass man sich schon fragt: Moment, also wer soll denn jetzt hier in diesem Land zukünftig die sozialen Sicherungssysteme retten? Das Klima retten, die Wirtschaft retten? Also da ist aus meiner Sicht ist da das Augenmerk, ich sag mal... da könnte man die Prioritäten auch ein bisschen anders setzen.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Die einen sind Wählerstimmen, die anderen nicht.
(Laura Dahlhaus) Genau, richtig.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ich glaube, so einfach ist es dann am Ende des Tages. Und so brutal auch.
(Laura Dahlhaus) Genau so brutal dann auch. Und die, die noch nicht Wählerstimmen sind, die werden halt nicht gefragt. Und ich weiß nicht.... Also um das Ausmaß zu erkennen, was das bedeutet, muss man dann vielleicht doch Teil des Systems sein? Und Sie merken ja, wie ich gerade schon so rumgedruckst habe, weil das natürlich ethisch ganz, ganz schwierige Diskussionen sind. Aber nur weil eine Diskussion ethisch schwierig ist, heißt es ja nicht, dass man sie deswegen niemals führen darf, kann und soll.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Und wahrscheinlich muss man, muss man sie gerade deswegen führen. Also ich finde ja gerade diese medizinethischen Themen, die müssen wir als Gesellschaft führen, weil sie verschwinden ja nicht dadurch, dass wir sie nicht führen. Also das Ignorieren führt ja nicht dazu, dass das Problem geht.
(Laura Dahlhaus) Genau, und es gab vor etlichen Jahren, da fing das so an mit diesen wahnsinnig teuren Medikamenten, das war so ein Hepatitis Medikament. Da titelte, ich weiß nicht, irgendeine Zeitung, titelte da schon: "Wie viel darf ein Leben kosten?". Weil das Medikament hat dann, ich sag mal, in einem Jahr 620.000 Euro oder so gekostet. So, und das ist natürlich für Menschen schwer auszuhalten, solche Fragen zu stellen. Aber darauf läuft es ehrlicherweise hinaus. Und ich sage jetzt mal ein Beispiel, was noch jeder kennt. Paxlovid. Die Pandemie ist noch nicht so lange her.... Paxlovid ist das Medikament, was gegen Corona geholfen hat. Die Tabletten, also das Medikament, was gegen Corona dann irgendwann verfügbar war. In der Pandemie haben wir das einfach paketeweise in die Arztpraxis bekommen und ich habe es ausgegeben. Wer Corona hatte, wer die Indikation dafür hatte, entsprechend krank war, hat vor mir eine Packung Paxlovid bekommen. Das ist jetzt nicht mehr so, jetzt, wenn die Indikation besteht, verschreibe ich das Medikament. Das ist also ganz normal in den üblichen Verschreibungsprozess überführt worden, wie jetzt eine Blutdrucktablette oder eine Ibuprofen 800 auch. Kosten je Paxlovid-Packung: 1.143 Euro. So, und da kann man natürlich sagen: Ja, die haben auch richtig was entwickelt mit Hochdruck. Will ich nicht in Abrede stellen. Ich bin weit weg von der Forschung, da habe ich null Expertise. Wenn ich aber nur meine Arzneimittelrechnungen sehe, also das, was unsere Praxis Vilmas, Dahlhaus und Kollegen in Borken im Jahr rezeptiert und damit an Kosten auf Seiten der Krankenkassen verursacht – dann haben wir lange, lange die Million geknackt. Lange. Und das ist eben, das ist nach oben hin offen. Und dann müssen wir irgendwann die Frage stellen: Pass mal auf, wie viel wollen wir denn und können wir denn als Gesellschaft für Gesundheit ausgeben? Weil sonst muss man sagen, und die Situation haben wir jetzt, die ist jetzt gerade ja ein, zwei Wochen alt... über die quasi nicht mehr zu... über die Notwendigkeit von steigenden Krankenkassenbeiträgen, die eigentlich gar nicht mehr realistisch unter 20 Prozent zu halten sind.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, aber genau da müsste man vielleicht mal ansetzen und sagen: Was ist uns Gesundheit denn wert? Oder was ist uns unser Gesundheitswesen denn wert? Was darf es kosten? Und wo ist vielleicht auch irgendwo eine Grenze, wo man sagt, das macht auch ökonomisch keinen Sinn mehr.
(Laura Dahlhaus) Genau. Und so ehrlich muss man auch sein. Es hat eine Zeit gegeben, da war das schon so ein bisschen, man hatte so das Gefühl... der Bedien-Laden. Die Zeiten haben ja Kollegen, die heute noch tätig sind, zum Teil auch noch erlebt. Und das hat sich jetzt radikal gewandelt in einer komplett durchökonomisierten Medizin. Wo eigentlich der Mensch zu einer, ich sag mal, Teil einer Wertschöpfungskette geworden ist und wo große Konzerne versuchen, diese Wertschöpfungskette von ambulanter Vorstellung, stationärer Vorstellung und Rehabilitation vollständig abzubilden. Und das ist dann auch die Frage: Wollen wir das? Also wollen wir, dass wir als Menschen und dass unsere Erkrankung derart instrumentalisiert ist? Dass es ein marktwirtschaftliches Interesse daran gibt. Oder könnte man nicht eher dahin gehen und sagen: Naja, eigentlich wollen wir einen einen Bedarf decken? Und der hat auch Grenzen. Und diesen Grundbedarf, den wollen wir sichern. Aber ein darüber hinausgehendes Interesse sollte nicht bestehen. Also es käme ja umgekehrt auch keiner auf die Idee, ich sage mal, wenn es jetzt 3 Monat nicht gebrannt hat, nach drei Monate eine Feuerwehr zu schließen.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, das ist ein gutes Beispiel... dass man einfach sagt, das ist ja auch juristisch so, Gesundheitsversorgung gehört ja zu den klassischen Leistungen der Daseinsvorsorge. Das waren ja eigentlich mal so Leistungen, die Menschen motiviert haben, sich in Staaten überhaupt zusammenzuschließen. Warum nicht jeder für sich einzeln unterwegs war, wenn man das so historisch betrachtet. Insofern ist eben die Frage: Muss so ein Gesundheitswesen überhaupt profitabel sein? Oder reicht nicht sozusagen das Angebot? Da sind wir bei diesem ganzen Konglomerat... Klinikprivatisierung, Privatisierung von Unikliniken... Macht das Sinn? Ist das eine gute Idee? Alles, was da so dranhängt, das ist ja ein Riesenfeld, was man da aufmacht.
(Laura Dahlhaus) Ja, das stimmt, genau. Und wenn Sie mich so konkret fragen: Also, mir reicht die schwarze Null. Und ich persönlich, also, in meiner Praxis, sind wir nicht auf Gewinnmaximierung aus. Und das müssen Sie aber, wenn Sie in einem DAX-Konzern arbeiten und mit einer Umsatzrendite von Plus-X rechnen müssen, damit Sie Dividenden auszahlen können. Und deshalb, also bei mir funktioniert eine gute Mischkalkulation und die Mischkalkulation ist, ich sage jetzt mal: Eigentlich sieht das System pro Quartal neun Minuten Arzt-Zeit vor. Also in drei Monaten sind eigentlich neun Minuten vorgesehen. Mehr nicht. Jetzt bin ich hier auf dem Land. Die psychotherapeutische Versorgung ist eine Katastrophe und wenn jemand jetzt akut in der Krise ist, dann bestelle ich den natürlich mehrfach ein und wenn es sein muss auch jede Woche, und plane mir da jede Woche 20 Minuten für den ein, wenn es dann dringlich ist. Und das mache ich aus der Idee einer Mischkalkulation heraus. Und wenn diese Idee einer Mischkalkulation, die aufgeht, jetzt noch aufgeht... Wenn diese Idee einer Mischkalkulation der Idee der Gewinnmaximierung weicht, dann ist dafür überhaupt gar kein gar kein Platz mehr. Und da ist natürlich schon die Frage. Da muss sich, glaube ich, auch so ein bisschen die Ärzteschaft an die eigene Nase fassen. Also wir haben uns sehr schnell die Butter vom Brot nehmen lassen und von Ökonomen erklären lassen, wie denn Medizin und Krankenhaus jetzt zu funktionieren hat. Das finde ich sehr, sehr schade. Also in Gesprächen mit Kollegen aus großen Kliniken, die dann wiederum ja in großen Sitzungen mit irgendwelchen Geschäftsführern und Holdings, und was weiß ich nicht, sitzen, muss man leider immer feststellen: Die wissen zum Teil überhaupt nicht, worum es geht. Und denen ist es aber auch egal, ob sie die Rendite mit Krankenhäusern machen oder mit Autos oder mit Kaffeemaschinen. Und die Frage kann man natürlich stellen, ob das irgendwie so gewünscht ist.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, also wenn man sich zum Beispiel... Ich finde immer ganz eindrucksvoll, wenn man sich einen alten Chefarzt-Vertrag anguckt und heute einen modernen – das ist ja ein Unterschied wie Tag und Nacht. Also gerade zum Beispiel bei den Chefarzt-Verträgen hat sich ja wahnsinnig viel gewandelt. Ich will das jetzt mal gar nicht bewerten, aber einfach nur: Was sich da verändert hat und wie sehr auch jetzt so ein Chefarzt unter wirtschaftlichem Druck steht, diese Zahlen zu liefern. Wie sehr das Controlling auch da wirklich steht und sagt: Der Case-Mix stimmt nicht, was auch immer. Es ist ja schon ein ganz anderes Arbeiten und hat ja eigentlich mit Medizin nicht mehr so richtig viel zu tun.
(Laura Dahlhaus) Ja, und denken Sie das mal zu Ende. Ich möchte jetzt hier keine keine Angst schüren, aber in Deutschland ist die ärztliche Weiterbildung nicht geregelt. Also... In anderen Ländern gibt es sogenannte Weiterbildungsstellen, das heißt, da sind Sie dann irgendwo nur angestellt, um zu lernen. Deshalb ziehen die auch zum Teil quer durchs Land, weil die bestimmte Weiterbildungsstellen dann in ihrem Ort nicht bekommen. Assistenzärzte, Ärzte in Weiterbildung, haben in Deutschland keinen Weiterbildungsvertrag. Die haben einen Arbeitsvertrag mit dem Krankenhaus. Und ob der Arzt in der Zeit was lernt oder nicht, ist völlig egal. Und ich verallgemeinere jetzt und die Kollegen, die den Podcast hören, mögen mir das verzeihen, aber ich nehme wahr oder ich behaupte und stelle die These auf, dass meine Generation, Examen 2009, ich habe eine extrem gute, umfangreiche klinische Ausbildung genossen. Das gibt es heute nicht mehr, weil dafür keiner mehr Zeit hat. Die Kollegen, die jetzt 1, 2, 3, 4 Jahre im Krankenhaus waren und zu uns in die Praxis kommen – Entschuldigung, die können nichts, die können nichts! Aber das ist auch klar, wenn der Patient und die Behandlung des Patienten durchökonomisiert ist und Zeit Geld ist – jede OP Minute kostet ja Geld –, dann hat keiner mehr Zeit, dem dem Assistenzarzt im ersten, zweiten Jahr was beizubringen. Nochmal mit dem gemeinsam den Ultraschall zu machen und die Befunde zu erklären, ihn die Thorax-Drainage legen zu lassen und ihn darin anzuleiten, weil diese Zeit nicht mehr da ist. Und dieser Faktor, dass uns die Durch- und Ent-Ökonomisierung der Medizin ehrlicherweise gerade die Behandlungsqualität kostet, und zwar ganz massiv kostet, das ist heute schon so, das blenden alle aus. Aus meiner Sicht im Übrigen auch, kann man... und sämtliche Verbände... also wir haben mittlerweile ein erhebliches Qualitätsproblem, weil keiner mehr Zeit hat, ärztliches Personal auszubilden. Fragen Sie doch mal die Patienten, wie häufig kommt das vor? Ja, der Arzt hat mich gar nicht mehr untersucht. Es kann auch keiner. Welcher Arzt ist heute noch in der Lage, vernünftig eine Schulter zu untersuchen? Ich behaupte mal... 19 von 20 Patienten, die mit Schulterschmerzen zum Orthopäden gehen, die werden, ohne dass sie ihr T Shirt ausziehen, direkt zum MRT geschickt. Im Krankenhaus von den jungen Kollegen, weil das keiner mehr kann. Das treibt natürlich auch direkt die Kosten nach oben. Also wenn wir uns ehrlich machen, dann müssen wir auch über Aus- und Fortbildung der ärztlichen Zukunft uns unterhalten und nicht immer nur: Wie können wir Krankenhausbetten abbauen und Krankenhäuser schließen und das ganze irgendwie noch weiter prozessoptimieren?
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber da sind wir ja auch eigentlich schon wieder beim Thema Fachkräftemangel. Das hängt ja damit auch zusammen. Das ist ja eigentlich ein Desaster mit Ansage gewesen. Es hat ja Leute nicht wirklich überrascht im System, sondern irgendwie wurde das ja schon... ganz lange war das ja Thema und plötzlich tut ja gerade die Politik, finde ich, so, als wäre das so so plötzlich vom Himmel gefallen.
(Laura Dahlhaus) Genau. Und da spielen auch mehrere Dinge eine Rolle. Also zum einen das Arbeitszeitgesetz. Also früher waren ja noch 36 Stunden-Schichten selbstverständlich. In meiner Zeit waren 24 Stunden plus X selbstverständlich. Eine Arbeitszeiterfassung gab es am Anfang gar nicht und nachher eine geschönte auf dem Papier. Aber keine, die der Realität entspricht. So, wenn die Arbeitszeiterfassung der Realität entspricht: Was machen Sie mit den ganzen Überstunden? Freizeitausgleich? Im Leben nicht. Geld hat keiner. Heute ist es noch so in großen Krankenhäusern, dass die Kollegen extrem unter Druck gesetzt werden. Entweder du logst dich aus und arbeitest dann noch weiter oder wie auch immer oder du kannst gehen. Das ist auch heute noch lege artis. Oder nicht lege artis, aber ich sag mal: Mittel der Wahl. Das heißt, wir haben einerseits das große Thema Arbeitszeit und das zweite große Thema, und das werte ich nicht, sondern beschreibe es nur, Sie brauchen mittlerweile einen extrem guten NC, um Medizin zu studieren. Das Schulsystem ist ein System, was insbesondere, ich sage mal, günstig ist für Mädchen. Die machen durchschnittlich einfach die besseren Abiturnoten. Damit haben wir einen deutlich höheren Frauenanteil in der Medizin. Die Frauen sollen aber gleichzeitig auch noch die Kinder kriegen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Das heißt, da haben wir schon gerechnet mit Ausfallzeiten. Und es gibt so unglaublich tolle und spannende Initiativen. Gerade zum Beispiel auch von den Unfallchirurginnen – wie chirurgische Berufe, chirurgische Fachärzte und Familie in Einklang zu bringen sind. Aber machen wir uns nichts vor: Das ist schwierig. Es ist schwierig, auch weil die Ausbildung unglaublich lange dauert. Sie studieren sechs Jahre, dann machen Sie sechs Jahre eine Facharztausbildung. Und dann haben Sie sich eigentlich ein Know-how angeeignet, wo Sie beruflich, ich sag mal, gesettelt sind. Dann haben Sie aber auch ein Alter, wo Sie am besten das erste Kind schon bekommen haben. Das geht alles nur sehr, sehr schwierig zusammen.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Aber was würden Sie sich denn wünschen, wenn Sie sich etwas wünschen dürften? Weihnachten naja... Was würden Sie sich denn für den ambulanten Bereich wünschen von der Gesundheitspolitik?
(Laura Dahlhaus) Also erstmal eine echte Überwindung der Sektorengrenzen. Ganz klar. Also, dass der Patient, ich sage jetzt mal, die ambulante Knie-OP beim niedergelassenen Orthopäden und im Krankenhaus bekommen kann – und das zu unterschiedlichen Konditionen und dass unterschiedlich Geld verdient wird – ist der Witz in Tüten. Dann müssen wir uns ehrlich machen in Bezug auf: Was wollen wir für eine ambulante Versorgung? Also aus meiner Sicht, sage ich ganz ehrlich, wir könnten sofort den nächtlichen Fahrdienst abschaffen. Wenn wir uns die ehrliche Frage stellen: Wofür brauchen wir einen Hausarzt in der Nacht? Ich weiß nichts... entweder es ist so schlimm, dass ich die 112 rufe und ich brauche wirklich die Rettung. Oder ich nehme eine Ibuprofen 400, die in jede Hausapotheke gehört. Ich stelle fest, oh, ich gehe morgen zum Arzt. Oder ich drehe mich um und schlaf weiter. Andere Situationen kenne ich nicht. Das würde schon mal Geld sparen. Dann brauchen wir unbedingt eine Überwindung dieses völlig absurden Quartalssystems. Wir haben ja jetzt eine Situation, dass wir in Teilen digitalisiert sind, und ich stelle fleißig E-Rezepte aus, muss den Leuten aber erklären, dass sie bitte zum Einlesen dann doch noch mal in die Praxis kommen müssen. Das glaubt ja kein Mensch. Also eine echte Digitalisierung. Aber da stehen wir im Gesundheitssystem ja nicht alleine da. Das ist ja der gesamte Staat, der hier völlig versagt. Also Digitalisierung wird es bringen. Und die Politik muss auch so ehrlich sein, dass man sagt: pass mal auf, eine 24/7, 365-Tage-im-Jahr medizinische Versorgung für echte Notfälle: ja. Aber nicht mehr für alles. Also nicht mehr für Rückenschmerzen seit drei Wochen. Das geht einfach nicht. Das ist nicht mehr zu finanzieren. Das ist einfach nicht mehr zu finanzieren. So, und wenn wir die ganze Diskussion geführt haben und uns da ehrlich gemacht haben und man sich dann auch mal traut zu sagen: Lieber Herr Müller, ja, Sie haben jetzt hier um Beratungsanlass gebeten, aber ich sage mal, eine erfahrene Krankenschwester oder wer auch immer da irgendwie eine Steuerung übernimmt: Nach meiner fachlichen Einschätzung reicht das auch am Montag beim Hausarzt. Da müssen wir dann auch mal den Mut haben, das der Bevölkerung zu sagen. Und wenn das alles, wenn diese ganzen Diskussionen geführt sind, dann würde ich mich auch an die Diskussion trauen und sagen: Wie wollen wir eigentlich mit Krankheiten alt werden und woran dürfen wir sterben? Woran dürfen wir sterben? Ist das nur die Demenz? Oder ist es vielleicht auch okay, wenn man mit 85 Jahren feststellt: Da ist ein Bauchspeicheldrüsenkrebs, das ist inoperabel. Und ist das dann vielleicht auch eine Situation, wo man dann sagen kann: Das ist eine Erkrankung in einem Alter, wo man dann sagt, vielleicht braucht man ja auch keine Therapie mehr. Ich will das nicht entscheiden, aber ich wünsche mir diese gesellschaftliche Diskussion. Und dann bin ich der festen Überzeugung, wir haben genug Geld im System. Aber es wird verschwendet und es ist falsch verteilt. Und deshalb, wenn Sie fragen, konkret, was ich mir wünsche: Dann sage ich Ihnen das ganz genau. Ich wünsche mir einen Gesundheitsminister, der das SGB 5 angeht, der eine Gesundheitsreform auf den Weg bringt, die diesen Namen auch verdient und nicht in diesem System weiter versucht herumzudoktern, das das Ganze nur noch teurer, noch unübersichtlicher und noch bürokratischer machen.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Das ist doch mal eine klare Ansage. Und wenn ich Sie jetzt frage: Was glauben Sie, wie wird es sich entwickeln in den nächsten Jahren?
(Laura Dahlhaus) Ach ja, das ist tagesformabhängig. Also manchmal, an einem Tag, wo ich mich wahnsinnig aufgeregt habe, denke ich, ich wandere aus nach Kanada oder in die Schweiz oder sonst wohin. Ich weiß es nicht. Und jetzt hatten wir aber auch mal ein sehr positives Beispiel, also wie dann auch mal Verbesserung gelingt. Ganz konkret... wir haben mal... es gibt diese, werden Sie wahrscheinlich kennen, diese Schwerbehindertenanträge, wo wir auch alles immer noch für den Staat ausdrucken, per Post verschicken. Und der Witz ist ja, dass beim Kreis das dann jemand einscannt und der arme Kollege dann 100 Seiten am Bildschirm lesen muss. Also wir drucken es aus, verschicken es per Post und da wird eingescannt. Ist ja kein Witz, aber so ist es. Und jetzt hatten wir da einfach mal die ganz hemdsärmlige Idee, ob wir da nicht eine digitale Lösung finden und sind da auf eine wunderbare Fachbereichsleitung im Kreis Borken gestoßen, die gesagt hat: Ja, das wird doch gerade gemacht. Und haben wir gesagt: Ja, gerade gemacht heißt ja in Deutschland, das dauert zehn Jahre, bis es umgesetzt wird – und wir machen es jetzt einfach. Lokal haben wir es auf den Weg gebracht und das wird was. Und ich würde mir wünschen, dass dieses "Wir machen das jetzt mal", das ist jetzt für Juristen, glaube ich, schwer auszuhalten, aber jenseits von dem, was die letzte Vorschrift noch sagt, sondern setzen einfach mal Dinge um und stellen dann fest: Ach, vielleicht klappt das ganz gut und passen dann danach mal entsprechende Bürokratien an. Das würde ich mir, glaube ich, wünschen. Und ich glaube auch, dass das nicht der unbedingt schlechtere Weg wäre.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Also wenn man es, wenn man es auf einen Satz abschließend zusammenfasst, einfach ein bisschen mehr Pragmatismus.
(Laura Dahlhaus) Ja, genau. Also manche Dinge, die sind, also ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn ich jede juristische Vorschrift in meinem Alltag ernst nehmen würde und befolgen würde, dann müsste ich meinen Laden sofort zumachen, weil die sich schon gegenseitig widersprechen.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Ja, aber ich glaube, das ist ehrlicherweise nicht nur ein Problem der Medizin, sondern das gilt, glaube ich, für ganz, ganz viele Bereiche. Wir sind ja so überreguliert, dass ja irgendwann da auch keiner mehr durchblickt. Man merkt ja nicht mal mehr, wenn man was verletzt.
(Laura Dahlhaus) Genau. Ich habe jetzt unter irgendeinem Video... ich weiß es gar nicht mehr – da hat eine Kollegin gepostet, die war in, ich weiß es auch nicht mehr, entweder in der Schweiz oder in Skandinavien. Die sind ja digitalisiert. Für uns ist ja Digitalisierung wenn wir einen Zettel als PDF-Dokument in den Computer bringen. Das hat mit Digitalisierung aus meiner Sicht nichts zu tun. Aber das ist Digitalisierung made in Germany. Und deshalb ist Digitalisierung im Gesundheitswesen ja immer noch mit Krankenversicherungskarte irgendwo einstecken. Und wir ignorieren das Smartphone irgendwie völlig und bauen eine Telematik-Infrastruktur auf, die mit Hardware aus den 90er Jahren irgendwie funktioniert. Ich weiß es nicht. Und die sagte auf jeden Fall, die Kollegin aus der Schweiz oder Skandinavien, sagte: In Deutschland wird das so lange optimiert, prozessoptimiert und hin und her geschoben, bis das Huhn tot und das Ei verschimmelt ist. Und das fand ich ein wunderbares Bild. Und ich habe gedacht, genau das trifft es. Ja.
(Speaker 3) Ja, das ist eine wunderbare Zusammenfassung. Die lassen wir einfach mal unkommentiert am Ende unseres Gespräch genauso stehen. Und da kann dann jeder quasi noch mal in seinem Herzen und seinem Gehirn bewegen, wie er das findet. Weil ich finde, es ist ein sehr schönes Bild und ich glaube, es ist auch sehr, sehr passend.
(Laura Dahlhaus) Ich denke auch ja.
(Prof Dr Birgit Schroeder) Frau Dahlhaus, ich sage ganz, ganz herzlichen Dank. Sie haben hoffentlich bald Feierabend für unsere Hörer. Es ist schon relativ spät, auch für eine Hausärztin. Es irgendwann hoffentlich mal Feierabend. Insofern sage ich ganz, ganz herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Und ja, wir hoffen einfach, dass wir ein kleines bisschen Einblick geben konnten in das, was so die ambulanten Praxen umtreibt, wo es hakt und was möglicherweise auch wirklich mal dringend anzugehen wäre. Und insofern ist es immer prima, wenn wir da einen Blick in die Praxen bekommen und einen Ansprechpartner haben, der das so engagiert, so authentisch, aber auch so lebendig, wie Sie schildert. Ganz, ganz herzlichen Dank dafür!
(Laura Dahlhaus) Ich danke Ihnen! Hat mich sehr gefreut.