Transkript Marketing Gesundheitswesen
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Herzlich willkommen. Zweite Folge zweiter Gesprächspartner. Ich freue mich sehr, dass du dabei bist. Wir sprechen über Herausforderungen im Gesundheitswesen. Und heute? In unserer zweiten Folge geht es um Marketing im Gesundheitswesen. Magst du dich einmal vorstellen?
(Dr. Christian Boris Brunner) Ja, vielen Dank, liebe Birgit. Ich freue mich heute sehr, dabei zu sein. Mein Name ist Christian Boris Brunner. Ich bin Vertretungsprofessor an der HFH und Studiengangsleiter für den Studiengang MBA General Management. Ich habe viele Jahre in verschiedenen Ländern, in Ägypten, in England und in Deutschland an verschiedenen Hochschulen gearbeitet. Komme aus dem Marketing, insbesondere aus dem Markenmanagement und habe auch in der Industrie im Verpackungsunternehmen das weltweite Marketing mit aufgebaut und habe unter anderem auch den Bereich Pharma betreut, wo natürlich der Innovationsprozess etwas länger dauert. Wo die Patentierung ein wichtiger Faktor ist. Und deswegen freue ich mich auch heute hier dabei zu sein.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, es ist toll, dass du dir die Zeit genommen hast, und vielleicht steigen wir mal direkt inhaltlich ein. Marketing, vom Begriff her vielleicht noch mal kurz erklärungsbedürftig für diejenigen, die jetzt nicht tagtäglich damit zu tun haben.
(Dr. Christian Boris Brunner) Genau. Der Sinn und das Ziel vom Marketing ist, die Wünsche und Bedürfnisse von Konsument*innen bestmöglich zu befriedigen. Das heißt, genau das Angebot anzubieten, was auch ein Bedürfnis oder ein Problem, was eine Verbraucherin, ein Verbraucher hat, zu befriedigen. Das Ganze kann man weiter untergliedern. Da spricht man im Marketing über die typischen vier Ps. Product, Price, Promotion, Place. Was bedeutet das eigentlich? Einmal das Produkt, die Produktgestaltung oder Angebot. Darunter fallen natürlich auch Dienstleistungen. Das Preismanagement. Also wie gestalte ich einen Preis? Gerade bei der Produkteinführung kann ich einen hohen Preis am Anfang haben und senken. Oder ich kann, wie das im Mobilfunk oft ist, einen sehr geringen Preis haben und dann hochziehen. Dann gibt es den Bereich Promotion. Das ist klassischerweise, was wir unter Werbung verstehen. Darunter fällt aber auch heutzutage beispielsweise das Onlinemarketing, Search Engine Optimization oder Advertising. Und dann das Place. Das ist das typische Distributions- oder Vertriebsmanagement. Das heißt, wie kommt das Produkt, das physische Produkt, zum Kunden, aber auch bei digitalen Produkten? Wie kann ich ein digitales Produkt vermarkten? Über das Internet, über beispielsweise einen Onlineshop? Und diese vier Ps kann man natürlich noch weiter erweitern. Was da aus meiner Sicht sehr wichtig ist, ist das Markenmanagement. Das heißt, wie platziere ich eigentlich eine Marke in den Köpfen der Konsumenten? Also wenn ich jetzt beispielsweise an Coca-Cola denke, was erscheint da in meinem Kopf? Beispielsweise ein rotes Logo oder der Truck von Weihnachten oder der Nikolaus - oder Weihnachtsmann, besser gesagt - den wir alle kennen. Das ist alles durch Marketing aufgebaut und das sind alles Bilder und Assoziationen in unseren Köpfen. Und da geht es darum, wirklich eine Marke oder ein Produkt so in unseren Köpfen zu platzieren, damit wir dann auch wenn wir jetzt Lust - wie, heute ist es sehr heiß - auf ein Erfrischungsgetränk haben, dass dieses Angebot dann halt auch als Möglichkeit auftaucht: Ja, ich könnte jetzt eine Cola trinken, beispielsweise.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Okay, das war jetzt ganz, ganz viele Informationen schon. Dann gucken wir jetzt mal so ein bisschen auf das Gesundheitswesen. Da ist es ja quasi noch mal eine Besonderheit. Das heißt Marketing allgemein ist sicherlich, ich will nicht sagen weniger eingegrenzt, aber vielleicht ein bisschen einfacher auch umzusetzen. Gesundheitswesen haben wir spezielle Anforderungen und die sind ja unter anderem dadurch begründet, dass man Spezialgesetze hat. Heilmittelwerbegesetz beispielsweise, wo es quasi darum geht, zu verhindern, dass Marketing nicht nur Bedürfnisse befriedigt, sondern vielleicht auch Bedürfnisse schafft, die es gar nicht unbedingt gibt. Und da sind die Anforderungen relativ streng. Wenn man das jetzt so im Hinterkopf behält und zum Beispiel darüber nachdenkt, was heißt das für eine konkrete Kampagne, oder was heißt das für ein konkretes Produkt? Ist es dann mehr Chance oder mehr Risiko? Aus deiner Sicht.
(Dr. Christian Boris Brunner) Also um da vielleicht noch einen Schritt zurückzugehen, muss man aus meiner Sicht beim Pharma-Marketing zwei verschiedene Produktarten unterscheiden. Einmal den Over-the-Counter, das Over-the-Counter-Produkt, OTC-Produkte, die nicht verschreibungspflichtig sind. Das heißt, ich kann sie mir einfach im Onlineshop in der Online-Apotheke beispielsweise kaufen oder halt den verschreibungspflichtigen Medikamenten. Die greifen insbesondere bei den Gesetzen, die du angesprochen hast. Und gerade bei denen hat man sehr strenge gesetzliche Vorschriften. Also man darf da beispielsweise keine Werbung machen gegenüber einem sogenannten Laien, also mich als Konsument beispielsweise. Und da ist es so, dass auf die Frage, die du gestellt hast, ist es einerseits natürlich ein großes Risiko, weil die Wettbewerber lauern nur darauf, dass du einen Fehler machst oder dass du ein Wettbewerbsversprechen hast oder ein Produktversprechen, besser gesagt, was du nicht halten kannst oder was halt gegen die gesetzlichen Vorstellungen verstößt. Andererseits sind da natürlich der Kreativität keine Grenzen gesetzt, und hat man andere Möglichkeiten, das heißt die Spielregeln sind andere. Und da ist gerade von Agentur oder von Marketingseite mehr Kreativität gefragt. Aber auch ein Know-how von Menschen wie dich, nämlich von Juristen, die auch ganz klar sagen können: In dem Rahmen könnt ihr euch bewegen. Das ist ein Wettbewerbs-, Produktangebotsversprechen oder Werbeversprechen. Das ist rechtlich zulässig und das ist etwas, da solltet ihr aufpassen, das solltet ihr nicht so kommunizieren. Und insbesondere natürlich bei verschreibungspflichtigen Medikamenten, erstmal der erste Schritt, du darfst dich nur an Ärzte oder Heilpraktiker oder Experten im Gesundheitsbereich wenden, aber nicht an den Endverbraucher. Also du darfst jetzt nicht einfach Werbung schalten für ein verschreibungspflichtiges Medikament.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Also ich kann mich erinnern, als ich angefangen habe als Anwältin, da habe ich ganz viele Abmahnungen bekommen. Da kamen dann Menschen aus dem Gesundheitswesen, unterschiedliche Leistungserbringer: Hier, ich bin von der Verbraucherzentrale oder von Wettbewerbsverbänden abgemahnt worden. Oder auch von Mitbewerbern am Markt. Und da ging es dann vorrangig darum, dass häufig sogenannte Heilversprechen gemacht wurden, dass also jemand zum Beispiel eine Therapie beschrieben hat und die, ich sage es mal ganz vorsichtig, ein bisschen zu optimistisch beschrieben hat. Also ein bisschen zu sehr bei dem unbefangenen Leser, der eben nicht dem Fachkreis entstammt, sondern medizinischer Laie ist, den Eindruck erweckt hat: Wenn ich das jetzt mache, dann, weiß ich nicht, bin ich meine Schmerzen los oder was auch immer. Und so, ich würde sagen, seit fünf Jahren ungefähr habe ich jetzt ganz viele Anfragen, wo man so eine Webseitenkontrolle macht, also wo sozusagen die Texte, die perspektivisch auf die Seite sollen, vorher juristisch geprüft werden sollen, wo man sagt, okay, an der einen oder anderen Stelle vielleicht ein bisschen weicher formulieren, nicht so sehr diese Erwartung bedienen, dass das wirklich hilft. Ein bisschen vorsichtiger, auch mit bestimmten Fachbegriffen. Und das zeigt mir eigentlich, dass die Leute ein deutlich höheres Problembewusstsein haben. Also konkretes Beispiel, letzte Woche: Ein Osteopath hatte eine Behandlungsmethode beschrieben, die sich insbesondere bei Kindern, also bei Säuglingen gezeigt hat. Und da ging es sozusagen darum, wie beschreibe ich das, obwohl es eben nicht evidenzbasiert ist. Wir haben keine breit angelegten Studien, die die Wirksamkeit belegen. Das sind alles Erfahrungswerte. Und dann muss man das auch so sagen. Also dann muss man auch wirklich konkret sagen, das ist nicht evidenzbasiert. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Aber man muss natürlich dann diesen Spagat schaffen zwischen - da sind Juristen dann gern die Spielverderber - ich will schon die Leute animieren, zu mir zu kommen mit ihrem Säugling, ich will dem auch gerne helfen, kann das vielleicht auch durchaus, und: das lesen ja nicht nur die Leute, die mir wohlgesonnen sind, sondern es lesen eben auch Mitbewerber, das lesen Wettbewerbsverbände und die warten, so wie du es formuliert hast, die warten auch teilweise drauf, dass man da einen Fehler macht und die sind auch klagefreudig. Also, ich habe schon viele Klageverfahren gesehen. Und die Rechtsprechung ist eben sehr patientenfreundlich in dem Sinne, dass sie sehr darauf achtet, dass eben wirklich nur das versprochen wird, in Anführungsstrichen, was auch evidenzbasiert belegbar ist. Also wo du wirklich breit angelegte Studien hast, die das auch dann tatsächlich nachweisen können. Wenn du das nicht kannst, dann musst du eben ganz, ganz vorsichtig sein mit den Formulierungen. Und eine Sache, die ich so schön finde, weil sie so, so kreativ ist - du hast es vorhin gesagt - es gab mal einen Fall, ich sag mal nicht, wo das war, aber der hat auch bundesweit Schlagzeilen gemacht, jedenfalls in der juristischen Fachliteratur. Da gab es eine Klinik, wie soll ich sagen, die hatten noch Kapazitäten frei und die hatten einen ganz tollen Werbedeal sich überlegt und haben sich an Frauen gerichtet und haben gesagt: Wenn du eine Brustvergrößerung haben möchtest oder auch eine Nasenkorrektur - das waren die beiden Eingriffe, um die es ging - dann bekommst du 50 % Rabatt auf den Preis, wenn du noch eine Freundin mitbringst, die innerhalb von vier Wochen nach deinem OP-Termin exakt diese OP durchführen lässt. Da kannst du ja vielleicht erstmal aus Marketingsicht was zu sagen, bevor ich da aus rechtlicher Sicht was zu sage.
(Dr. Christian Boris Brunner) Natürlich aus Marketing[sicht], also das habe ich sehr lange in meiner Zeit in England gesehen, kaufe ein Produkt, krieg das zweite Produkt umsonst. Two for one oder sowas. Das, also dieses Price Selling, das wird sehr stark in England beispielsweise gemacht. Ist natürlich dann ein Faktor, klar, das Pricing zieht. Ist auch psychologisch, diese Preispsychologie ist ein sehr guter Faktor. Wird grundsätzlich in Deutschland nicht so stark gemacht, aber man sieht es immer mit den Aktionspreisen, bei jedem Supermarkt, der dann halt jede Woche Angebote hat. Soll eigentlich dazu animieren, mal ein Produkt auszuprobieren. Im Gesundheitswesen muss man sagen - also rein rechtlich kannst du sicherlich mehr sagen als ich - aber Gesundheitsprodukte oder Health Care Produkte unterliegen natürlich diesen strengen Richtlinien, dass man auch aus Marketingsicht jemanden, Konsumenten, Konsumentin, nicht dazu animieren will, schnell kurzfristig einen sogenannten emotionalen Kauf zu machen, wie man das an der Kasse kennt, sondern das Ganze durchdacht ist, das Ganze faktenbasiert ist. Deswegen auch diese Verpackungsbeilage in jedem Produkt, wo Risiken, Nebenwirkungen, alles Mögliche draufsteht. Und das ist juristisch auch ganz genau geklärt, was da drin sein muss. Aber dass es eine sehr rationale Kaufentscheidung sein muss. Und ich könnte mir vorstellen, ich kenne diesen Fall jetzt nicht, da ich kein Jurist bin, aber ich könnte mir vorstellen, dass das gerade so dieser Fall ist, dass das natürlich ein sehr starker Treiber ist, dass eine andere Person halt jetzt dafür 50 % bekommen hat. Das heißt, als Laie bin ich animiert, einen anderen von einem Produkt zu überzeugen und eigentlich aus meinem Bauchgefühl heraus sollte es natürlich bei verschreibungspflichtigen oder gerade jetzt bei einem Eingriff in den Körper, einen Arzt oder eine Ärztin eigentlich entscheiden: Ist dieser Eingriff jetzt sinnvoll? Und auch den Rat erteilen an einen Laien, also an jetzt eine Verbraucherin in dem Falle, ob man diesen Eingriff macht oder nicht. Und eben nicht ich jetzt als Laie, als Patient selber.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, ich glaube, es ist ein Bauchgefühl, ist genau richtig. Also ich will das jetzt rechtlich gar nicht so sehr ausführen. Es ist in der Tat so, dass es unzulässig war. Einmal genau aus den Gründen, die du genannt hast, weil ich hier halt der Treiber bin, sozusagen dann irgendwie eine Freundin oder einen Freund überrede: Mensch, die Nase könnte doch auch mal und so. Wie wäre es denn? Und wir sparen doch beide. Und das andere ist eben es unterschreitet auch die gesetzliche Gebührenordnung um 50 %, was auch nicht geht. Also man darf eben mit Preisen in dem Sinne nicht werben. Also du darfst nicht nach außen sagen: Mensch, bei uns gibt es jetzt einen besonderen Rabatt in Höhe von 50 % und die Gebührenordnung interessiert uns nicht. Die soll ja gerade verhindern, so die Idee des Gesetzgebers, dass du eben nach oben und nach unten Grenzen hast. Du hast da so Steigerungsfaktoren sicherlich, die kannst du auch ein bisschen steuern. Aber es soll eben nicht so sein, dass man sich jetzt für eine Nasenkorrektur beispielsweise entscheidet, weil es heute gerade günstig ist. Also auch dieser Zeitaspekt so ein bisschen, vier Wochen danach muss die andere dann auch. Also das war, finde ich, ein gutes Beispiel dafür, wo es vielleicht zu weit geht. Also von der Idee her gut, vielleicht, weiß ich nicht, aber rechtlich eben nicht. Und ein anderes Beispiel geht in so eine ähnliche Richtung, auch. Ein nicht medizinisch erforderlicher Eingriff, natürlich. Die sogenannte Botox-Flatrate. Also, Botox, breit angewandt mittlerweile, nicht unumstritten, aber da hatte jemand die Idee zu sagen, man bezahlt einen bestimmten Betrag und für diesen bestimmten Betrag darfst du so oft kommen, wie du möchtest. Also rein theoretisch halt wesentlich öfter, als es vielleicht nach dem Hautbild überhaupt erforderlich wäre, wenn man den Begriff überhaupt verwenden will. Und da ist es eben auch so gewesen - das kennt man ja so von All you can eat oder so. Bin gerade im Urlaub gewesen, auch all inclusive. Da merkt man eben schon, dass Leute auch einen anderen Wert für Produkte empfinden, als wenn sie jedes Produkt einzeln bezahlen müssten, was sie sich an einer Bar holen oder im Restaurant. Und da ist es eben auch so gewesen, da hat man auch gesagt: Ja, das führt zwangsläufig dazu, dass man so diese Mentalität entwickelt "Das muss sich jetzt auch lohnen." Das heißt, jetzt will ich auch möglichst viel für mein Geld haben. So, jetzt will ich möglichst viel essen oder möglichst viel trinken oder möglichst viel Botox mir spritzen lassen. Aber aus Marketingsicht sicherlich auch eine clevere Idee, oder?
(Dr. Christian Boris Brunner) Natürlich, dieses All you can eat hat immer so diesen Bereich, das hat man ja auch bei ganz vielen Apps mit Jahres- oder Lifetimemodellen, wo man dann sagt am Anfang nutze ich das sehr stark. Oder noch besser ist das Beispiel von Fitnessstudios, wo ich einen 24-Monats-Vertrag mache, in den ersten drei Monaten Anfang des Jahres meistens motiviert bin, dann noch ein Special Angebot habe, die ersten drei Monate umsonst oder sowas. Und natürlich, das Studio verdient daran, eben an den Nichtmitgliedern. Und genauso ist das so, dass dann halt viele sagen okay, ich habe jetzt einen Eingriff gemacht, vielleicht noch ein zweites Mal, aber dass dann ganz viele einfach sagen, ich kann das jederzeit machen. Aus Marketingsicht oder Pricing-Sicht oftmals lohnend, aber natürlich wieder das gleiche Argument, die Preispsychologie greift da sehr stark, dass ich dann schnell zu einer nicht rationalen Entscheidung, nämlich eine sehr emotionalen und unter Zeitdruck herbeigeführten Entscheidung führe, die dann dem sicherlich auch juristisch nicht standhält.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, und ich habe noch ein Beispiel für etwas, was nicht gut gelaufen ist, weil ich ja persönlich immer finde, dass man an den Sachen, die nicht gut gelaufen sind, eigentlich immer deutlich mehr lernt als an denen, die so waren, wie man sich das vielleicht gewünscht hat. Und da geht es um die staatliche Impfkampagne. Ich habe da einfach mal ein Zitat rausgesucht und da sagt jemand "Erfolgreiches Marketing ist immer einfach. Es gründet sich auf solide Arbeit bei Produkten und Dienstleistungen und am wichtigsten auf Wahrheit. Die staatliche Impfkampagne wirkte altbacken, belehrend, rechthaberisch und verspielte mit unnötig falschen Versprechungen das Vertrauen der Bevölkerung." Aus Marketingsicht nachvollziehbar?
(Dr. Christian Boris Brunner) Ja, aus Marketingsicht ist es immer sicher. Wir kennen das bei jedem Beratungsgespräch. Man möchte die Vor- und Nachteile einfach hören. Und bei jedem guten Berater oder jedem guten Verkäufer ist es auch so, oder in der Werbung, dass man natürlich sagt, okay, der Werbende, die Firma, die Marke möchte mich natürlich von dem Vorteil dieses Produktes überzeugen. Aber Vertrauen wird dann aufgebaut, wenn ich versuche, objektiv halt auch zu sagen, das und das ist vielleicht nicht gut oder das Produkt passt nicht zu dir. Sehr viele Coaches machen das beispielsweise. Oder bei digitalen Produkten: Du bist nicht die richtige Zielgruppe für das Produkt. Wenn das und das eintritt, unter den Umständen ist das das richtige Angebot für dich. Bei der Impfkampagne war es ja sehr einseitig. Also Impfen ist ja per se nicht gut oder schlecht. Impfen per se, wissen wir von vielen Ärzten, dass es immer Impfbefürworter gibt und andere, die eher gegen Impfen sind. Und diese zwei Seiten, und diese zweiseitige Kommunikation ist auch in der Überzeugung von Menschen sehr wichtig, dass man auch immer diese beiden Seiten aufdeckt und auch ein Pro und Contra hat. Und die Berichterstattung ist ja sehr einseitig erfolgt. Und das zweite ist, was du schon gesagt hast: Es ist sehr belehrend gewesen, also nicht auf Augenhöhe. Man möchte als Verbraucherinnen und Verbraucher immer auf Augenhöhe unterrichtet werden und das ist nicht erfolgt. Ich nehme mal ein Beispiel jetzt aus den Online-Reviews. Das hat mich selber gewundert. Seit zehn Jahren ungefähr beschäftige ich mich mit Online-Reviews, mit den Bewertungen. Und da ist es so, dass am Anfang immer so: Stiftung Warentest. Wenn du ein neues Produkt gekauft hast, war Stiftung Warentest– wenn die das empfehlen, dann muss das Produkt gut sein. Das mag auch bei komplexen Produkten dafür sprechen. Was mich dann aber gewundert hat, dass Rezensionen von Laien - gerade online, gerade bei Amazon-Reviews - viele Konsumenten gerade auf Laien-Reviews sehr viel Wert gelegt haben. Teilweise in bestimmten Produkten auch mehr Wert gelegt haben als auf Expertenmeinungen. Weil sie gesagt haben, das ist so ein User oder ein Verbraucher wie du und ich, der hat genau die gleichen Bedürfnisse und Probleme wie ich. Also ist das Review und diese Meinung der Produktnutzung viel mehr wert als jetzt von einem Experten, der natürlich viel mehr Wissen hat, aber das Produkt vielleicht auch ganz anders verwendet. Und in dieser Impfkampagne ist es ja nie dazu gekommen, dass man halt auch mal versucht hat, das auf eine Ebene zu bringen, die jeder auch versteht. Die ich auch verstehe. Warum jetzt Impfen besonders wichtig ist oder nicht. Es kam immer nur eine belehrende Meinung und diese zweiseitige Kommunikation des Pro und Contras ist nicht erfolgt, wo man gesagt hat: Ja, es hat bestimmte Risiken. Keine Impfung ist ohne Risiken. Das ist einfach unter den Tisch gekehrt worden. Oder es sind bestimmte Sachen dann auch, die auch evidenzbasiert waren, auch nicht kommuniziert worden und waren auch nicht in der Presse. Und wenn man dann das Gefühl hat, das Ganze, auch marketingmäßig, wird mit sehr viel Druck– Wir kennen das, ich habe zwei Kinder. Umso mehr ich meine Kinder von etwas überzeugen will und Druck dahinter mache, ist es natürlich in der Erziehung auch nicht gut, sondern meine Kinder müssen auch Erfahrungen machen. Ich muss meinen Kindern auch die Freiheit geben, und nicht immer sagen das und das ist aus meiner Erfahrung das Richtige, sondern sie müssen die eigenen Erfahrungen machen. Und ich glaube, da hat die Politik sehr viel Vertrauen verspielt, indem sie einseitig kommuniziert hat und auch noch sehr starken Druck aufgebaut hat. Bei allem Verständnis. In der Pandemie, keiner wusste, was der richtige Ansatz ist. Viele Länder haben alle irgendwie im Grauen nach einer Strategie gesucht. Keiner wusste. Auch kein Experte hatte schon so einen Fall zuvor. Aber es ist halt immer wichtig, dass man in der Kommunikation dann auch auf Augenhöhe kommuniziert. Und dann, auch aus meiner Sicht, wäre das Ganze erfolgreicher gewesen. Es ist natürlich auch nur eine Vermutung, wenn man diese Augenhöhe gehabt hätte und wenn man auch über Pro und Contra des Impfen diskutiert hätte, auch Impfgegner zu Wort kommen lassen hätte. Und dann nimmt man auch so ein bisschen den Verschwörungstheoretikern - die natürlich dann im Untergrund entstehen, weil sie gar keinen Raum mehr haben, gar keinen Kanal mehr richtig haben - in der normalen Medienlandschaft nimmt man denen so ein bisschen auch das Pulver, in dem man halt das auch diskutiert und dann halt auch besser aufklären kann. Weil Aufklärung bedeutet auch, dass ich über Risiken unterrichte und darüber auch kommuniziere. Und das ist halt, aus meiner Sicht, ein Fehler gewesen, das halt ganz unter den Tisch zu kehren. Und es sind ja auch viele Statistiken halt auch teilweise nicht so eindeutig erfolgt, dass man da halt auch schon sagt: In den Statistiken, da baue ich einfach kein Vertrauen auf.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Und man hat aber auch das Gefühl, dass auch aus diesen Erfahrungswerten nicht gelernt wurde. Wenn man sich das jetzt anguckt. Stichwort vierte Impfung, gestern hat die Stiko ihre Impfempfehlung ja nochmal verändert, revidiert. Unser Gesundheitsminister, der dann mit irgendwelchen Tweets irgendwie vorprescht, die dann wieder einfängt, Dann hast du maximale Verunsicherung in allen Bereichen. Ich habe letzte Woche lang mit einem Impfarzt gesprochen, der sagte: Hier kommen Leute, die, wissen gar nicht so richtig, wollen sie, wollen sie nicht. Sollen sie warten. Auf was warten sie eigentlich? Wann kommt der angepasste Impfstoff? Und das ist eben auch in der Beratung dann einfach schwierig. Und ich finde das, was du skizziert hast, da hätte man sich vielleicht gewünscht, dass man aus diesen Erfahrungen lernt. Jetzt für eine mögliche neue Impfkampagne im Herbst das einfach ein bisschen anders zu machen. Vielleicht wirklich mehr auf Augenhöhe und ein bisschen differenzierter auch und nicht so mit der Holzhammermethode.
(Dr. Christian Boris Brunner) Absolut. Das ist aus meiner Sicht etwas, wo wir lernen hätten können. Das fängt schon an mit den Corona-Zahlen und Inzidenz-Werten oder was man jetzt auch immer heutzutage nimmt. Dass die Bevölkerung auch müde geworden ist, dass man ständig was ändert und ständig, wie jetzt beim Gesundheitsminister, dann halt unterschiedliche Empfehlungen auch von Politikern kommen, wo man sagt, na ja, das sind halt schon Sachen, wo man Verunsicherung schürt. Und Politik hat ja auch die Aufgabe ein Land zu führen und gerade auch in schweren Zeiten dann halt auch aufzuzeigen, dass man auch die, ja, man hat ein Expertenteam hinter sich und teilweise sehr gute Expertenteams und dass man da halt auch wirklich bessere Empfehlungen gibt und das Ganze aber auch kommunikativ auf Augenhöhe und auch oft in der richtigen Sprache, die dann natürlich auch oft von oben herab oder in Expertensprache dann so von Politikern gewählt ist, dass eben man nicht die breite Bevölkerung erreicht oder vielleicht auch nicht erreichen möchte. Das weiß ich jetzt nicht, aber es ist, man sollte es besser runterbrechen und auch besseres Verständnis dafür haben, was du gerade angesprochen hast: Was ist eigentlich mit einem Arzt, einer Ärztin, die halt beraten werden muss? Was ist eigentlich mit vielen Menschen, die in dieser gesamten Kette der Umsetzung sind? Wie können die auch die richtigen Informationen haben. Die dümpeln ja auch teilweise im Dunkeln. Was jetzt? Wie kann man jetzt beispielsweise bei Corona auch vorbeugen? Was gibt es halt auch an bestimmten anderen Möglichkeiten außer einer Impfung? Wie wir uns auch alle davor schützen können, das ist ja wenig erfolgt, da halt auch diese Informationen auch zur Verfügung zu stellen, um in der gesamten Kette der Umsetzung und einer Vorbeugung - aber auch nicht nur impfen, also Impfen alleine hilft ja nicht. Wir müssen uns ja trotzdem alle schützen. Auch wenn wir geimpft sind, ist das ja kein Freifahrtschein jetzt alles zu machen, sondern wir können uns ja trotzdem weiter anstecken oder das auch weitergeben. Und auch in Anbetracht, dass wir halt Mutationen haben, wird das Spiel ja auch weitergehen. Und da glaube ich, dass es sehr wichtig ist, diese Augenhöhe zu haben. Information und Kommunikation an alle Beteiligten. Und auch das Zusammensetzen, nicht nur von oben herab Verordnungen zu geben. [Da] kenne ich viele Beispiele, auch im Gesundheitswesen, wo dann das in der Umsetzung einfach hapert, weil einfach die Gesetze so vorgegeben sind, dass es nicht umsetzungsfähig ist oder schwer umsetzungsfähig ist. Dass man alle Beteiligten an einen Tisch setzt und dann nach gemeinsamen Lösungen sucht. Ich habe letzte Woche mit einem Leiter eines Heims für Menschen mit psychischen Erkrankungen gesprochen. Es ist ein offenes Heim. Er hat mir noch erzählt, wie er zu Beginn der Pandemie beispielsweise sich mit seinem Team zusammengesetzt hat und gesagt hat: Ich habe auch keine Ahnung, wie wir jetzt diese gesetzlichen neuen Sachen umsetzen sollen, ich hatte den Fall noch nie, hatte keiner von uns. Er hat sich aber mit seinem Team in dem Haus zusammengesetzt und gemeinsam auch entschieden und gemeinsam überlegt: Wie können wir jetzt für Ordnung [sorgen]. Es ist ein offenes Heim. Das heißt, sie konnten den Leuten auch keinen Schlüssel abnehmen, selbst nicht während des Lockdowns. Also, es ist noch etwas anderes wie jetzt in anderen Einrichtungen dieser Art. Aber sie haben gemeinsam eine Lösung gefunden und ich glaube, das fehlt uns auch in den letzten Jahren, dass man gemeinsam auch schaut, wie ist das auf allen Ebenen verankert? Es ist nicht leicht, aber die Politik hat natürlich auch Experten an der Seite. Die könnten das Expertengremium auch so zusammenstellen, dass man halt auch verschiedene Ebenen abdeckt. Und das wäre mein Wunsch, einfach da ein bisschen ganzheitlicher zu denken.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ganzheitlich ist, glaube ich, immer eine gute Idee. Ob Pandemie oder nicht. Aber das ist auch schon mal ein guter Ansatz, wenn wir jetzt mal so ein bisschen in die Zukunft gucken. Also ich kann mich erinnern, als ich angefangen habe, wenn ein Arzt sich selbstständig gemacht hat, dann reichte die Website. Da waren die schon ganz weit vorne, wenn sie überhaupt eine hatten. Das war eine statische Seite, da waren die Öffnungszeiten. Dann kamen irgendwann Bilder von Mitarbeitern, dann wurden irgendwann ganz kurz Behandlungsmethoden skizziert, aber wirklich nur skizziert. Es gab vielleicht noch mal was Aktuelles im Hinblick von Praxisurlaub von, bis. Dann waren wir schon froh, wenn die ein Impressum hatten. Das hatte sich dann irgendwann rumgesprochen, dass man das wohl braucht. Wenn ich das heute sehe, also, wenn ich Gründer sehe, die eine Praxis entweder übernehmen oder ganz neu gründen, dann brauchen die natürlich eine ausgefeilte Marketingstrategie. Das heißt, die sind umgeben von Experten, die dann Kontakte zu Agenturen haben, die sagen wie mache ich das überhaupt? Und eine ganz große Rolle spielen, aus meiner Sicht, soziale Medien natürlich. Gerade für Zahnärzte, überragende Bedeutung. Gab jetzt ja gerade eine sehr erfolgreiche Kooperation von Montana Black als großen Streamer und einer Praxis, die da diese umfangreiche Zahnsanierung gemacht hat. Das wurde ja alles sehr aufwendig auf YouTube auch begleitet. Wie siehst du sowas denn? Wenn sich also Influencer und Influencerinnen quasi darüber auslassen, ihren ja häufig noch sehr jungen Nutzern gegenüber: Mensch, ich habe mich hier für eine Bauchdeckenstraffung entschieden; ich habe mich für, weiß ich nicht, Lippen aufspritzen, was man alles so machen kann heute. Das wird ja weitgehend, finde ich persönlich, relativ unreflektiert gemacht. Das heißt, es gibt ja auch zwei sehr erfolgreiche Schönheitschirurgen, die auf Tiktok wahnsinnige Reichweite haben, die dann immer wieder zeigen, was alles geht, wie das geht und das wird natürlich, so funktioniert es ja auch, sehr euphorisch beschrieben. Risiken und Nebenwirkungen kommen da nicht groß zur Sprache. Und wenn das dann in Kooperation mit jemandem erfolgt, der eben eine große Reichweite hat, dann sehe ich, ohne jetzt hier den Bedenkenträger zu mimen, aber schon die Gefahr, dass so der Eindruck, entsteht das muss so sein, das macht man heute so. Also die Einstiegsdroge, haben wir mal gesagt, ist Botox, Hyaluron. Dann kommen irgendwann so Brustvergrößerungen, Nasenkorrekturen und das volle Programm. Das ist ja, wenn man einmal damit anfängt, ist ja wie eine Droge. Du brauchst immer mehr. Irgendwas passt da nicht. Wie siehst du das so aus Marketingsicht, so Kooperationen?
(Dr. Christian Boris Brunner) Also es gibt, glaube ich, zwei Sachen, die du ansprichst, die wichtig sind. Das eine ist die Webseite, die jeder Arzt, jede Ärztin braucht heutzutage. Das geht nicht nur über die Webseite, sondern darum, dass ich, auch wenn ich eine Zahnärztin beispielsweise neu suche, mir Rezensionen anschauen kann, mir anschauen kann, was sagen andere Patienten darüber? Da wieder das Gleiche. Ich möchte nichts vom Experten haben. Ich möchte was von anderen Patientinnen erfahren und wissen halt, ist das eine einfühlsame Zahnärztin? Das ist das eine. Das heißt, ich muss natürlich auch über Google– also, so gefühlt vier von fünf Leuten, wenn sie eine Beschwerde haben, fragen erst mal Mister Google. Das heißt, das ist auch für Pharmaunternehmen ganz wichtig, da dann halt auch zu sagen, wir haben dieses Angebot. Oder die Zahnärztin, die dann halt auch bei mir in Hamburg um die Ecke ist, dass die auf jeden Fall vertreten ist, dass die auch eine Webseite hat. Der zweite Punkt ist, ich sage es immer so: Menschen kaufen keine Produkte, Menschen kaufen Emotionen. Was meine ich eigentlich dahinter? Wenn ich zu meiner Hausärztin gehe, warum gehe ich zu der Hausärztin? Ich habe mir noch nie ihr Diplom zeigen lassen. Ich weiß nicht, ob sie gut oder schlecht ihr Medizinstudium, ihre Doktorarbeit abgeschlossen hat. Aber die Art und Weise, wie sie mit mir spricht, die Augenhöhe, die sie [bei] mir an den Tag legt, das Vertrauen, was ich aufbaue, wenn sie mir etwas verschreibt oder sagt: Sie haben die und die Beschwerden, ich empfehle Ihnen das und das. Das ist das blinde Vertrauen. Ich kann Ihre Kompetenz nicht einschätzen. Und was machen wir als Laien, wenn wir nicht einschätzen können, Wie wird Vertrauen aufgebaut? Das ist die Art und Weise, wie diese Person mit mir spricht, wie die Praxis organisiert ist, wie das Erst-Telefonat oder hoffentlich auch die Erst-E-Mail beantwortet wird, wie schnell das beantwortet wird, wie das Ganze organisiert ist. Das heißt, wir nehmen uns eigentlich so externe Faktoren als Hilfen herbei, um halt herauszufinden, wie diese Person ist. Und wenn wir viele erfolgreiche, beispielsweise Zahnärzte sehen, die lassen dann den Blick hinter die Kulisse, über die Schulter gucken, wie sie dann in ihrer Praxis beispielsweise eine Story haben, auf Social Media, auf Instagram. Das heißt, Sie stellen sich auch als Person dar. Weil das ist ja nicht nur eine Zahnärztin beispielsweise, sondern auch eine Person, die bestimmte Werte hat. Und das baut wieder Vertrauen auf. Also schon alleine der Kontakt. Wenn wir jemanden im Bus oder in der Bahn jeden Tag sehen, baut sich nach zehn, fünfzehnmal eine Vertrautheit auf, obwohl wir vielleicht noch nie mit dieser Person gesprochen haben. Und das wird bei Social Media ausgenutzt. Das heißt, wenn ich jeden Tag in der Story erscheine, wenn ich oft in dem Feed erscheine, baut sich schon allein dadurch Vertrauen auf. Wenn ich dann sehe: Ja, das ist ja eine ganz normale Person. Ja, die kennt, wenn ich Angstpatient bin, die kennt halt auch diese Angst, sie hat es vielleicht in anderen Bereichen. Wenn ich dann sehe, okay, wie die Praxis eingerichtet ist, wie die Person, wie die Ärztin sich Gedanken macht über ihre Patienten, das baut Nähe auf. Und das ist das, was ich sage. Das führt dann zu Emotionen bei mir. Ich habe einen großen Unsicherheitsfaktor, wenn ich zu einer Ärztin gehe, weil ich per se nicht beantworten und bewerten kann, ob die Ärztin einen guten oder schlechten Job macht; ob sie mir das Richtige oder falsche, die richtige oder falsche Behandlungsmethode empfiehlt. Aber durch dieses Vertrauen, durch diese Nähe wird es mir leichter gemacht, dann halt auch mich darauf einzulassen. Und Kooperationen, die du angesprochen hast, mit bekannten Persönlichkeiten, das ist natürlich dann noch mal so ein Imagetransfer-Effekt. Das heißt, ich nehme mir eine bekannte Person, wir kennen das früher von Thomas Gottschalk beispielsweise, von bekannten Schauspielern. Heutzutage wird das mit vielen YouTubern gemacht, die sehr bekannt sind, oder Instagram Queens und Königinnen. Und darüber ist natürlich auch ein Vertrauen da. Ich folge diesen Personen. Also fast gedanklich ist es so, dass wir die Person meinen zu kennen, wie im realen Leben, obwohl wir sie noch nie real gesehen haben. Dadurch baut sich Vertrauen auf. Und wenn die Person das macht, wenn die Person sich jetzt die OP, die Nase richten lässt, ist das ja– ist ja was Gutes bei herausgekommen, das Ergebnis war ja gut, dann ist die Hemmschwelle natürlich schon geringer, um das auch selber mal auszuprobieren, wenn ich unzufrieden bin. Oder auch, was du sagst, und das sehe ich halt kritisch, das sehe ich auch rein rechtlich kritisch, ich glaube, wir sind, wenn es um Printwerbung geht, also um klassische Medien, dann sind wir schon sehr stark reguliert. Aber das Problem ist, ich habe mal mit einem Juristen gesprochen, da ging es auch um YouTube und co. Teilweise wissen die Richter noch nicht mal, die sind nicht bei Instagram und teilweise ist es so, dass auch ein Anwalt, eine Anwältin - kann wahrscheinlich auch viel davon erzählen - dann erstmal dem Richter erklären muss, wo das Problem liegt. Und ich glaube, aus meiner Sicht, ist die Hemmschwelle dann sehr stark, einer bekannten Youtuberin zu folgen: Okay, die macht das. Und aus meiner Sicht ist das nichts anderes, als wenn ich in einem Magazin dann eine Person zeige, eine lächelnde Person oder strahlende Person, die ich dann auch als Referenzpatient abbilde. Hatten wir vorher schon mal kurz drüber gesprochen, dass das rechtlich nicht erlaubt ist. Und was ist der Unterschied dann, aus meiner Sicht, zu YouTube, wo ich das mache? Wo diese Person dann auch sagt, ich habe die OP dort und dort in der Klinik gemacht und dann auch das Ergebnis zeigt und darüber berichtet. Also es ist nicht viel anders. Der Absender ist ein anderer. Aber es ist aus meiner Sicht auch eine Hemmschwelle, wo man halt, auch wenn man den Laien da wirklich zu einer rationalen Entscheidung bewegen will, ist das keine rationale Entscheidung, weil ich natürlich eben durch YouTube auch Druck aufbaue. Umgekehrt möchte ich das jetzt auch nicht schlechtreden. Es ist natürlich für eine Zahnärztin beispielsweise sehr gut, auf Social Media auch zu zeigen: Ja, ich habe diese Werte, ich lebe diese Werte, und einen Einblick auch in den Alltag zu geben, auch den Einblick, wie sie beispielsweise die Praxis eingerichtet hat, wie beispielsweise dann auch die Kolleginnen und das Praxisteam halt auch miteinander aufgeht, welche Werte da wichtig sind. Das baut natürlich auch Hürden ab und bringt Nähe dazu bei. Wichtig ist natürlich, wie immer bei Social Media, es sollte halt auch keine Traumwelt sein, sondern es sollte realistisch sein. Dass ich nicht etwas darstelle und eine Kunstperson als Ärztin darstelle, die ich gar nicht bin, sondern halt auch mich so real zeigen. Und deswegen funktionieren aus meiner Sicht dann auch oft Storys sehr gut. Weil Storys natürlich - die können natürlich auch mit Filtern bearbeitet werden - aber man sieht, sie sind nicht wie ein Imagefilm hochpoliert, sondern sie zeigen die Personen, wie sie mal nebenbei zeigt und ein Blick über die Schulter gibt.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Also würde ich auch gerne sehr stark differenzieren, zwischen: Ich habe etwas, einen Account in den sozialen Netzwerken, zeige mein Team, zeige meine Praxis, kommuniziere auch offen, was weiß ich, nehme die Kamera mit für den Tagesablauf. Das finde ich völlig legitim. Das ist auch bestimmt interessant. Aber ich bin nun sehr viel von Berufswegen in den sozialen Netzwerken unterwegs. Und ich persönlich als Juristin habe tatsächlich ein Problem damit, wenn man, oder anders formuliert, ich finde es weniger schlimm, ein Produkt zu bewerben, was wirklich ein Produkt ist. Also mag es auch überteuert sein, mag es minderwertig sein, es ist ein Produkt. Schlimmstenfalls kostet es den Käufer Geld. Vielleicht ist es ärgerliches Geld, das er auch nicht hat, keine Frage. Aber es ist nur Geld in Anführungsstrichen. Wenn ich aber zu einem invasiven Eingriff rate, oder– Ich sage ganz bewusst rate, in dem Sinne, dass ich das sehr euphorisch kommuniziere, wie das auch meine Lebensqualität verändert hat. Weil mich meine Nase schon immer gestört hat, weil ich schon in der Grundschule gehänselt wurde. Dann kommt diese Mobbing-Schiene vielleicht noch dazu. Und dann habe ich so dieses Bild, was ich nach außen hin verkaufe. Mensch, das hat der doch geholfen oder dem doch geholfen. Das klappt bei mir bestimmt auch. Dann habe ich damit, muss ich ehrlich sagen, nicht nur ein rechtliches Problem, sondern auch tatsächlich ein ethisches Problem. Weil dann sind wir eben in dieser ganzen Diskussion Schönheitswahn, insbesondere bei jungen Mädchen in der Pubertät beginnend dann ja einfach. Und dann muss man sich tatsächlich auch mal fragen, so wie du gesagt hast, auf der einen Seite haben wir sehr strenge Regelungen, was bestimmte Bereiche betrifft. Aber dieser Bereich, und das wird ja jetzt so finde ich in den letzten Wochen auch von bestimmten Meinungs- YouTubern zu Recht kritisiert, haben wir eigentlich kaum was. Und da glaube ich, müssen wir auch noch mal ein bisschen genauer hingucken und uns fragen, soll das so sein? Soll das so bleiben? Oder muss man da vielleicht auch tatsächlich überlegen, ob es auch da ähnliche Kriterien gibt? Es ist natürlich nicht so einfach rechtlich da ranzukommen. Und um das auch nicht falsch zu verstehen: Ich finde das total legitim, dass das jemand macht, der sein Produkt verkaufen möchte. Und das gilt natürlich in gewissem Maße auch für einen Arzt, für eine Ärztin. Aber ich finde trotzdem, dass da die Maßstäbe, die man anlegt, vielleicht einfach andere sind, als wenn es nur in Anführungsstrichen darum geht, dass ich jetzt einen Kopfhörer kaufe oder irgendwelche Klamotten oder meinetwegen auch Nahrungsergänzungsmittel, die keiner braucht. Aber ich glaube, dass wir da noch nicht so weit sind. Und das, was du gesagt hast, ist, glaube ich, völlig richtig. Auch die Rechtsprechung ist da noch nicht so weit. Das ist ja auch eine wahnsinnige Dynamik, wenn man sich so die letzten Jahre angeguckt hat, auch seit Corona. Wie das explodiert ist. Die Leute waren viel zu Hause, hatten auch viel Zeit für sowas und, ja, da muss man glaube ich einfach noch mal gucken, wie da auch die Reise mitgestaltet werden soll oder ob man das so dem freien Spiel der Kräfte überlässt. Wenn ich früher für plastisch-ästhetische Chirurgen Fortbildungen gemacht habe, wie man aufklärt, dann habe ich immer gesagt: Sie haben dann richtig aufgeklärt, wenn der Patient ohne Eingriff geht. Weil dann ist es tatsächlich so, dass es richtig rechtlich korrekt war. Dass also Vor- und Nachteile, Risiken, Chancen und eben auch schlimmstenfalls der Tod zur Sprache kam. Und wenn dann jemand sich dagegen entscheidet, dann war alles richtig. Das ist natürlich kein Geschäftsmodell, das ist völlig klar. Insofern wird natürlich anders aufgeklärt. Aber das zeigt eben auch das Spannungsverhältnis, in dem ich mich in dem Bereich einfach bewege.
(Dr. Christian Boris Brunner) Absolut. Vielleicht noch einen Punkt dazu. Wir haben es ja in den letzten Jahren - also ich glaube, Cathy Hummels ist zum Beispiel so ein Beispiel - gesehen, dass es bei den Juristen auch sehr viel Diskussionen darüber gab, wann muss ich [bei] einem Post jetzt da Werbung draufschreiben und wann nicht. Das ist jetzt nur so ein Beispiel, bei allen möglichen Produkten, wenn ich halt– was sind die Bedingungen dafür? Aber was du halt gesagt hast, wenn ich einen Eingriff habe, ist das natürlich noch eine ganz andere Liga. Was muss da noch folgen? Und wenn wir uns das anschauen: Wir müssen heutzutage jedes Advertorial, also sozusagen, das ist letztendlich, so ein Pseudo-Presseartikel in einem Magazin, aber da muss ich ganz klar draufschreiben, dass das bezahlt ist, nämlich dass es eine Anzeige ist, obwohl es sehr stark nach einem PR-Textbeitrag aussieht. Ja, aber theoretisch müsste ich dann auch auf YouTube, Instagram und Co natürlich auch nicht nur gucken, ist das jetzt bezahlte Werbung mit einer Partnerschaft, sondern ich muss da unter verschiedenen Produkten, insbesondere im Gesundheitsbereich, unterscheiden, wo ich diesen Eingriff nicht mehr rückgängig machen kann und das etwas ist, wo ich auch eine ganz andere Aufklärungsarbeit leisten muss, bevor ich was kaufe. Ich glaube halt, wir sind da noch mit diesen Kanälen nicht so weit. Wie du schon sagst, die Kanäle sind immer einen Schritt schneller. Ich bin großer Fan, dass in der Digitalisierung gerade in Deutschland auch viel passiert ist. Ich glaube, da ist vieles gut. Aber wie das überall so ist, man hat immer eine Sonnen- und eine Schattenseite, egal bei welcher Innovation das ist, bei welcher Veränderung und Change-Management-Prozess das ist. Und da muss man jetzt auch einfach gucken, dass die Rechtsprechung sich auch entsprechend anpasst und sagt, okay, hier haben wir Kanäle, da müssen wir besonders noch Verbraucherinnen und Verbraucher schützen, weil wir da eben noch nicht so weit sind, wie das eigentlich ethisch und rechtlich halt sauber sein sollte.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, das ist doch, wie soll ich sagen, schon mal eine gute Zusammenfassung. Wir kommen auch so ganz langsam zum Schluss, aber nicht ohne nochmal einen Blick sozusagen in die Zukunft zu werfen. Wohin entwickelt sich das Ganze so in den nächsten fünf Jahren? Was würdest du sagen?
(Dr. Christian Boris Brunner) Also ich glaube was sich entwickelt ist, dass Patient*innen viel, viel mehr wissen werden. Also wir wissen, dass durch Mister Google das Transparent viel größer ist, dass nicht ein Arzt einfach mal schnell was verschreiben kann, ohne dass man fragt, ohne dass man vielleicht auch weiß, was es für andere Präparate gibt. Also ich glaube, Transparenz wird ein sehr großes Thema sein. Aufklärung in diesem Bereich. Aber ich glaube, in Social Media wird der Einfluss noch viel größer sein. Und ich habe eine jetzt bald 14-jährige Tochter. Ich weiß das natürlich auch, dass Social Media nicht so schlecht ist, wie wir das als Eltern, vielleicht der eine oder andere, sieht. Ich glaube, Transparenz wird größer und die Kreativität, auch die gesamte Customer Journey. Also wo hole ich jetzt den, die Kundin ab und was biete ich der Kundin? Also das Angebot halt auch wird viel größer. Im klassischen Marketing hat man immer von der Massenproduktion gesprochen. Heutzutage hat man das eins-zu-eins-Marketing oder das Produktbundling. Das heißt, ich kaufe kein klassisches Produkt mehr. Selbst wenn ich ein Auto kaufe, habe ich eine Dienstleistung, habe ich ein Digitalisierungsprodukt mit allen möglichen Verknüpfungen zu– mit dem autonomen Fahren, was aus meiner Sicht, ist ja schon möglich, aber noch rechtlich mit vielen Bedenken behaftet. Aber dass man da halt viel mehr Möglichkeiten hat und das Gesundheitswesen hoffentlich auch viel mehr ein eins-zu-eins und nicht ein ich-packe-dich-jetzt-in-die-Box-mit-der-Behandlung-Methode ist, sondern halt vielmehr sich den Patienten anpasst, vielmehr auf Augenhöhe ist. Auch durch den Vorteil der steigenden Transparenz.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Das heißt aber ja auch für alle Gesundheitsanbieter im weitesten Sinne, also für alle Leistungserbringer im System, sie werden nicht umhin kommen - es sei denn, Sie gehen jetzt in den nächsten fünf Jahren in Rente - aber ansonsten werden Sie nicht umhinkommen, sich auch mit sowas
(Dr. Christian Boris Brunner) Ja, beispielsweise fängt es damit schon an, dass es Ärzte gibt, denen kannst du heutzutage noch keine E-Mail schreiben. Und das sind beispielsweise Sachen, die aus meiner Sicht überholt sind. Digitalisierung - nicht jeder muss jetzt einen Instagram Kanal haben. Da muss man auch schauen, welche Zielgruppe habe ich, welcher Kanal eignet sich? Aber diese Nähe zu den Kundinnen, zu den Patienten auf dieser Augenhöhe, die wird aus meiner Sicht viel größer sein. Wir haben natürlich das ganze System noch so, dass jeder Arzt, jede Arztpraxis natürlich noch ein Einzugsgebiet hat oder dann durch die Zulassung automatisch halt auch eine gewisse Anzahl an Patienten hat. Meistens mehr als sie gut betreuen können. Und dass dadurch das Ganze natürlich nicht dieser Wettbewerb ist und aus meiner Sicht dieser Wettbewerb auch nicht sein sollte, wie wir das von Wettbewerbsmärkten kennen. Aber natürlich diese Nähe zu den Kundinnen, die sollte oder die wird viel größer sein. Und auch diese Diskussion und Überzeugung, warum jetzt eine Behandlungsmethode wirklich besser ist für die jeweilige Person. Ich glaube, die Diskussion wird auch größer sein. Und da geht es nicht, dass man schnell was verschreibt, sondern halt auch darüber aufklärt. Also auf der einen Seite sehr viele Vorteile für Patient*innen, auf der anderen Seite natürlich auch viel mehr Challenges in einem relativ starren Kranken- und Pflegesystem, was wir nun mal haben. Was gute Gründe hat, warum es so ist, wie es ist, was aber natürlich auch in vielen Bereichen halt auch noch verbesserungswürdig ist.
(Prof. Dr. Birgit Schröder) Ja, das war ein wunderbares Schlusswort. Also ich bin sehr dafür, dass man anerkennt, dass dieser Markt kein normaler Markt ist bzw. kein Markt ist, der den Mechanismen von Angebot und Nachfrage so unterliegt, wie wir das bei Produkten beispielsweise kennen. Und ich glaube, das darf man immer nicht vergessen. Ich finde, Marketing im Gesundheitswesen ist ein wahnsinnig breites Thema, ein wahnsinnig spannendes Thema. Wir haben so ganz kleine Punkte jetzt hier angesprochen, da kann man bestimmt noch viel, viel mehr zu sagen. Wir freuen uns über Feedback auch zu dieser Folge. Das heißt, wenn ihr oder Sie Anmerkungen, Wünsche, auch Themenvorschläge habt, was gerne noch mal besprochen werden soll. Wir können das auch wiederholen, falls du noch mal Lust und Zeit hast zu späterer Zeit. Ich bedanke mich an der Stelle erstmal ganz herzlich, dass du da warst. War toll, dass du dein Wissen mit mir und mit allen, die zuhören, geteilt hast. Und ja, herzlichen Dank für deine Zeit.
(Dr. Christian Boris Brunner) Danke, dass ich hier sein durfte.